In den kommenden Wochen wird de facto entschieden, wer New York künftig als Bürgermeister regiert. Der Wahlkampf erlaubt tiefere Einblicke in die Verfasstheit der Demokratischen Partei, als ihr lieb sein kann.
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Knapp daneben ist auch vorbei, aber weit daneben kann als Möchtegern-Bürgermeister manchmal tödlich sein. Auf die Frage, was eine durchschnittliche Eigentumswohnung im bevölkerungsreichsten New Yorker Stadtteil Brooklyn heutzutage kostet, gaben die demokratischen Politiker Ray McGuire und Shaun Donovan jüngst jene Art von Antwort, die schon ganz anderen Kalibern die politische Karriere vermiest hat.
Zwischen 80.000 und 100.000 Dollar schätzten die Herren im Brustton der Überzeugung. Was zumindest im Fall des Afroamerikaners McGuires insofern nachvollziehbar wäre, als sich der als Investment Banker (unter anderem bei CitiGroup, Morgan Stanley, Merrill Lynch) wohlhabend gewordene 64-Jährige schon lange keine Gedanken mehr ums Geld machen muss. Im Fall Donovans, Spross einer jüdisch-irischen Familie, wiegt die Sache schon schwerer. Der heute 55-Jährige diente immerhin Präsident Barack Obama als Minister für Wohnbau und Budgetdirektor. Auch wenn fast alle von Donovans und McGuires Konkurrenten für den Job, zu dem sie sich heute berufen fühlen, an der richtigen Antwort vorbeischrammten, lagen sie ihr doch mit Abstand näher. Denn die durchschnittliche Wohnung in Brooklyn kostet 900.000 Dollar - also neun- bis elfmal so viel, wie es die eingangs erwähnten Demokraten geschätzt haben, die in dieser Stadt Bürgermeister werden wollen.
Offiziell findet die Wahl zum künftigen Bürgermeister der 8,3-Millionen-Einwohner Stadt erst im Herbst statt. De facto wird sie aufgrund der Übermacht der Demokraten in New York City in den kommenden Wochen entschieden. Am 22. Juni werden sie im Rahmen der parteiinternen Vorwahlen darüber abstimmen, wer Bill de Blasio nach dessen zwei Amtszeiten - mehr erlaubt das Gesetz nicht, außer man heißt Mike Bloomberg - folgen wird. Erstmals dürfen die Wähler per Ranking abstimmen: maximal fünf Kandidaten, gereiht von Präferenz eins bis fünf. Bei den Republikanern treten zeitgleich Curtis Sliwa, Gründer der Bürgerwehr Guardian Angels und rechtspopulistischer Radiomoderator und der Taxifahrer-Lobbyist Fernando Mateo gegeneinander an.
Die Primaries fallen aufgrund ihrer Rahmenbedingungen auf einen mehr als kritischen Zeitpunkt. Auch wenn die Metropole die Coronavirus-Pandemie noch nicht bewältigt hat, kehrt in ihren fünf Bezirken (Manhattan, Brooklyn, Queens, Bronx, Staten Island) dank einer relativ erfolgreichen Impfkampagne langsam aber sicher wieder der Alltag ein.
Und während auf nationaler Ebene Präsident Joe Biden es bisher weitgehend verstand, die Flügel der Partei auf Bundesebene zusammenzuhalten, gewährt das, was sich im Wahlkampf ihrer Hochburg New York abspielt, tiefe Einblicke in ihre grundsätzlichen strukturellen Defizite.
Extrem vielfältige Bewerber
Nämliche spiegeln sich im Personal, das sich um den Bürgermeisterposten bewirbt: liberale Wall-Street-Veteranen, linke Aktivisten und erfahrene Technokraten - alle mit mal mehr, aber in der Regel oft weniger Bodenhaftung als allen objektiven Maßstäben nach erlaubt sein sollte.
Andrew Yang ist der bekannteste jener Handvoll Kandidaten, denen Chancen auf den Einzug in Gracie Mansion eingeräumt werden. Yang passt in keines der Schemata und irgendwie doch in alle gleichzeitig. Zu Prominenz gelangte der in Hell’s Kitchen, Manhattan, lebende Sohn taiwanesischer Einwanderer als gescheiterter Präsidentschaftskandidat, der sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzte. Als Schlüssel zum Publicity-Erfolg erwiesen sich damals Wahlempfehlungen namhafter Geschäftsleute (unter anderen Tesla-Gründer Elon Musk und Twitter-CEO Jack Dorsey) und von Unterhaltungs-Stars (Hollywood-Schauspieler Donald Glover, Nicolas Cage), die sich als Mitglied der "Yang Gang" outeten. Erfahrung mit Verwaltungsapparaten hat der Anwalt Yang keine, dafür welche im Aufbau diverser Non-Profit-Organisationen in den Bereichen Bildung und Fortbildung. Der bei lokalen Geldgebern für Wahlkämpfe immer noch einflussreichen Zeitung "New York Times" reichte das nicht. Die NYT-Wahlempfehlung fällt auf eine Außenseiterin: nämlich Kathryn Garcia. Die 51-jährige Weiße, die ihr gesamtes Berufsleben in der Stadtverwaltung zubrachte und unter de Blasio als Chefin der obersten Sanitär-Behörde diente, scheint der Zeitung vor allem aufgrund ihrer Erfahrung mit der New Yorker Bürokratie die beste Option. Ihre Feuertaufe erlebte die geschiedene Mutter zweier Töchter, als sie zu Beginn der Covid-19-Pandemie zum "Food Czar" ernannt wurde und in der Folge dafür sorgen musste, dass alte, kranke und sonst wie bedürftige Bürgerinnen und Bürger zuhause mit Essen versorgt wurden. Was Garcia, die in Brooklyn geboren ist, fehlen: Glamour und Rückhalt aus dem lokalen Parteiestablishment.
Wähler noch unentschlossen
Der diesbezüglich ambitionierteste Kandidat heißt Eric Adams. Der afroamerikanische Bezirkspräsident von Brooklyn bringt als Ex-Polizist und Ex-Abgeordneter zum Bundesstaatsparlament administrative wie sicherheitspolitische Erfahrung aus erster Hand mit. Besonders Letzteres ist angesichts einer stark steigenden Verbrechensrate von vielen Bürgern eine ersehnte Eigenschaft. Im Rahmen einer vom Lokalsender NY 1 übertragenen Kandidaten-Debatte musste er sich allerdings mangelndes Urteilsvermögen und Opportunismus vorwerfen lassen, weil er etwa in den Neunzigerjahren als Republikaner registriert war und zeitgleich religiöse Extremisten wie Louis Farrakhan von der Nation of Islam unterstützte.
Scott Stringer, der weiße Establishment-Kandidat, genießt als langjähriger Rechnungsprüfer der Stadt zwar die Unterstützung der in New York traditionell mächtigen Lehrergewerkschaft, hat aber seit kurzem mit dem Vorwurf einer sexuellen Belästigung zu kämpfen, die vor 20 Jahren passiert sein soll.
Es sind also durchaus unterschiedliche Kandidaten, die sich um das demokratische Ticket bemühen. Laut den wenigen Umfragen, die es bisher gab, darf sich deshalb fast noch jeder Kandidat Chancen ausrechnen: Die Hälfte der Wähler sagen, dass sie noch unentschlossen seien.
Chancen für Außenseiter
Entsprechend machen sich auch Außenseiter wie die oben erwähnten Herren McGuire und Donovan, aber auch dezidiert linke Kandidatinnen Hoffnungen. Während Ersteren ihr Privatvermögen und ihre Wall-Street-Bekanntschaften zugutekommen, profitieren Letztere von einem öffentlichen Topf, aus dem sie Geld für ihre Wahlkämpfe lukrieren. Während die Sozialaktivistin Dianne Morales, Afro-Latina mit Wurzeln in Puerto Rico, mit der Forderung um Stimmen wirbt, die Polizei aufzulösen, versucht die schwarze Anwältin Maya Wiley, durch ihre Auftritte auf MSNBC auch bundesweit bekannt, einen Spagat zwischen der städtischen Linken und den liberalen Pragmatikern in D.C. zu schaffen. Zu den Unterstützern der Tochter eines prominenten Bürgerrechtsaktivisten zählen Ikonen der feministischen Bewegung wie Gloria Steinem ebenso wie Hakeem Jeffries, der ranghöchste New Yorker Abgeordnete im Repräsentantenhaus.
An ihrem Realitätssinn, was Immobilienpreise angeht, muss freilich auch sie arbeiten. Während sich McGuire und Donovan massiv nach unten verschätzten, war es bei Wiley umgekehrt: Sie glaubte, dass eine Wohnung in Brooklyn, wo sie selbst mit zwei Töchtern lebt, 1,8 Millionen Dollar kostet - das Doppelte des momentanen Wertes.