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Großindustrie droht abzuwandern

Von Karl Leban

Wirtschaft

Voestalpine expandiert nur noch außerhalb Europas: in Asien und Amerika.


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Wien. Wieder einmal geht Wolfgang Eder mit der Industriepolitik Brüssels hart ins Gericht. "Die Industrie-Aversion in großen Teilen der EU-Kommission ist nicht mehr zu überbieten", klagt der Voestalpine-Chef. "Wenn das so weitergeht, ist die Deindustrialisierung Europas nicht aufzuhalten. Dann haben wir bald britische Verhältnisse." Vor allem durch die relativ hohen Energiekosten und Klimaschutzabgaben drohe der Industrie in Europa der Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit, sagt Eder. "Ohne Gegensteuern werden sich die schleichenden Abwanderungstendenzen zu einer Lawine entwickeln."

Hatte der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt der EU 2010 noch 18 Prozent betragen, so lag er 2012 mit 14 Prozent bereits deutlich niedriger. Laut Eder ist für heuer ein weiteres Absinken auf 12 Prozent zu erwarten. Wie die EU-Kommission es schaffen will, den Industrieanteil bis 2020 wie angekündigt auf 20 Prozent zu erhöhen, ist dem österreichischen Top-Manager ein Rätsel. Für ihn selbst ist die Industrie innerhalb der Wirtschaft ein unverzichtbarer Wohlstandsfaktor.

"Wirtschaftlicher Aufschrei"

Außerhalb Europas seien die Kostenvorteile enorm, gibt Eder, der noch bis Jahresende Präsident des europäischen Stahlverbandes Eurofer und seit kurzem Vizepräsident des Weltstahlverbandes ist, zu bedenken. Dass die Voestalpine seit heuer im US-Bundesstaat Texas ein 550 Millionen Euro teures Werk zur Produktion von Vormaterial für die Stahlerzeugung baut, ist nach seiner Darstellung ein "wirtschaftlicher Aufschrei".

In Europa seien die Gaspreise drei- bis viermal so hoch wie in den USA (Stichwort: Schiefergas). Und Strom sei um 20 bis 40 Prozent teurer als in Nordamerika, so Eder am Montag im Klub der Wirtschaftspublizisten. Außerdem koste ein Facharbeiter in Linz 50.000 Euro im Jahr, im Süden der USA hingegen nur 37.000 Euro.

Neben den Vereinigten Staaten hat die Voestalpine, die sich mehr und mehr zu einem Stahlverarbeitungs- und Technologiekonzern entwickelt und nun sogar schon Werkstoffe wie Titan, Aluminium und Karbon verarbeitet, vor allem auch Asien als Wachstumstreiber im Blickfeld. So soll in China und Südostasien der Umsatz bis 2020 von derzeit rund 710 Millionen auf mehr als 2 Milliarden Euro verdreifacht werden. Eder: "Wir denken dabei sowohl an Investitionen auf der grünen Wiese (neue Werke, Anm.) als auch an Akquisitionen."

Wachstumsmotor Asien

Bis 2020 will der Voestalpine-Chef in Asien jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag investieren, bisher waren es Geldbeträge im "unteren zweistelligen Millionenbereich". Als interessante Märkte neben China, wo für die nächsten fünf Jahre mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von je sieben Prozent zu rechnen sei, nennt er Malaysia, Kambodscha, Vietnam und Indonesien. Schwerpunkte in Asien seien die Kundenbranchen Mobilität (Autos, Eisenbahn) und Energie.

Insgesamt soll der Konzernumsatz, der zuletzt bei 11,5 Milliarden Euro lag, bis 2020 schrittweise auf 20 Milliarden Euro gesteigert werden. Wobei dann mehr als 40 Prozent davon außerhalb Europas generiert werden sollen. Derzeit liegt dieser Umsatzanteil bei 25 Prozent.

Dass es die Voestalpine zunehmend in außereuropäische Gefilde zieht, hat auch damit zu tun, dass Eder die Zukunft der Autoindustrie in Europa alles andere als rosig sieht. "Wachsen wird der automotive Bereich in Europa nicht mehr", ist er überzeugt. Viele Autohersteller verlagerten ihre Produktion nach China, Südamerika und in die USA. "Die Autoproduktion in Europa wird in den nächsten Jahren tendenziell zurückgehen und 2020 um zirka 30 Prozent unter dem Niveau von heute liegen", schätzt Eder.

Auch der Autoverkauf in Europa werde künftig "nur sehr mäßig wachsen". Heuer sei die Nachfrage fast auf einem Allzeit-Tief, so Eder. Bestenfalls werde sich der Markt in den nächsten Jahren nur "leicht erholen".

Metaller erhöhen den Druck

Zum aktuell heiklen Thema Metaller-KV wollte Eder am Montag nichts sagen. Mit Protestkundgebungen hat die Gewerkschaft zu Wochenbeginn den Druck bei den Lohn- und Gehaltsverhandlungen mit der Maschinen- und Metallwarenindustrie, dem größten Metaller-Fachverband, erhöht. Mehrere hundert Arbeitnehmer demonstrierten an Betriebsstandorten in Weiz, Hohenems und Wolkersdorf für einen besseren KV-Abschluss. Heute, Dienstag, findet die vierte Verhandlungsrunde statt. "Das wird ein sehr entscheidender Tag", so die Gewerkschaft. Bisher fühlen sich die Arbeitnehmer von den Arbeitgebern nicht ernst genommen. Deren Angebot einer Lohnerhöhung um 2 Prozent bei gleichzeitig flexibleren Arbeitszeiten lehnen sie ab. Gepocht wird auf mindestens 3,4 Prozent mehr Lohn und Gehalt.