Rund 9 Prozent beträgt Chinas für heuer prognostiziertes Wirtschaftswachstum. Kein Wunder, dass sein Appetit auf Energie und Rohstoffe unermesslich scheint. Die "WZ"-Serie "Staaten & Strategien" wirft einen Blick auf das "Reich der Mitte".
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"Es gibt ein neues großes Thema, das in der Geopolitik an Bedeutung gewonnen hat und noch viel zu wenig von politischen Entscheidungsträgern wahrgenommen wird: Dies ist der Aufstieg Chinas zum größten Verbraucher und Importeur von Rohstoffen," meinte David Hale in seinem viel beachteten Beitrag "China's Growing Appetites" in der Fachzeitschrift The National Interest (Sommer 2004).
Kein anderes Land hat sich seit den 70er Jahren so rasch und vor allem so tiefgreifend verändert wie China. Seit über 25 Jahren befindet sich nun das "Reich der Mitte" bereits auf dem langen Marsch der Wirtschaftsreform. Deutlich wird dies etwa in einer aggressiven Liberalisierung, dem Export von High-Tech Gütern und massiven Kapitalzuflüssen aus dem Ausland. Allerdings: Der Spagat zwischen sozio-ökonomischem Aufbruch und demokratiepolitischer Stagnation wird immer mehr zu einer prekären Gratwanderung.
Bei all den Jubelmeldungen über den Höhenflug dürfen die hierin schlummernden Gefahrenpotenziale nicht übersehen werden. Dies gilt vor allem für die immer größer werdende Wohlstandskluft zwischen Stadt- und Landbevölkerung, die wachsende Arbeitslosigkeit und die absehbare demographische Überalterung der Bevölkerung.
Der wirtschaftspolitische Weg, den China bei seinem Kampf gegen Rückständigkeit und Armut einschlägt, ist dabei von Pragmatismus gekennzeichnet: Von Deng Xiaoping selbst, dem Vater der Wirtschaftsreformen, stammt der Satz: "Egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist. Wichtig ist, dass sie Mäuse fängt." Die Frage, ob Markt oder Plan, hatte für ihn stets rein instrumentellen Charakter - Hauptsache, die Wirtschaft wächst. Ähnlich pragmatisch hielt Deng es mit der ideologisch verordneten Gleichheit aller Bürger: Es sei eben unvermeidlich, dass "einige zuerst reich werden", kommentierte er den aufgrund seiner Politik unvermeidlichen Umstand wachsender sozialer Unterschiede.
Das rasante Wirtschaftswachstum - für heuer schwanken die Schätzungen zwischen für Europa unvorstellbaren 8,8 und 9,7 Prozent - und die Integration in die Weltwirtschaft werden das globale Kräftegleichgewicht zugunsten Chinas verschieben - auch wenn in jüngster Zeit die Mahnungen vor einer Überhitzung des Konjunkturmotors lauter werden. Die WTO-Mitgliedschaft Chinas führte bereits zu einem leichten Anstieg des Weltwirtschaftswachstums.
Die ausländischen Dirketinvestitionen für 2005 werden die Grenze von 100 Mrd. Dollar erreichen, allein 2002 stiegen sie um 13 Prozent, während sie weltweit um 25 Prozent fielen. Große amerikanische Firmen wie Motorola, United Technologies, Coca Cola, General Motors u. a. haben umfangreiche Investitionen getätigt. Chinas Wirtschaft hat einen hohen Einfluss auf die Weltproduktion und auf den Güterweltmarkt. So kommt es zu einer Rückwirkung auf das Nachfrage-Angebotsgefüge.
Anlass zur internationalen Sorge bereitet dagegen, dass China trotz seiner WTO-Mitgliedschaft nach wie vor die Regeln immer wieder missachtet. Die Piraterie geistigen Eigentums breitet sich rasch aus. Unternehmen, die in China in Joint Ventures investieren wollen, werden zu Technologietransfers gezwungen. Hier zeigen sich die Widersprüche bzw. die Gleichzeitigkeit von Fortschritt, kommunistischem Denken und Stagnation.
Supermacht auf dem Rohstoffsektor
China gilt als Dominator der Märkte für Kupfer, Eisenerz, Platin und Aluminium. Diese Position erkämpfte sich China innerhalb sehr kurzer Zeit, sodass viele Regierungen gar nicht adäquat reagieren konnten. Aufgrund der rasanten Urbanisierung stieg auch der Bedarf an Stahl und Zement signifikant an. Mit rund 170 Mio. Tonnen produziert China gut 20 Prozent mehr Stahl als im Vergleichszeitraum des Vorjahres - und gut ein Viertel der gesamten Weltstahlproduktion. Damit ist es nicht verwunderlich, dass China auch den Kohlesektor dominiert (Export und Import). In einigen anderen Bereichen zeigt China jedoch eine hohe Abhängigkeit, z. B. bei Mangan, Silber und Vanadium. Im Nahrungsmittelbereich ist China mit einem wachsenden Importbedarf konfrontiert.
Eines der Hauptimportgüter ist Rohöl. China benötigt zur Zeit etwa 6.2. Mio. Barrel pro Tag - Tendenz weiter steigend. 1992 waren es noch 2,9 Mio. Barrel. 2003 war das Land der zweitgrößte Ölimporteur nach den USA. Die Gründe für den rasanten Anstieg liegen im Industrieboom und in den stark steigenden Zahlen von Autos (jährlich 2 Millionen Autokäufe).
Chinas nach wie vor ansteigender Rohstoffbedarf wird relativ bald wesentliche Auswirkungen auf die Außenpolitik der USA, Russlands, Japans und der Entwicklungsstaaten haben. Dadurch wird die ,geoökonomische Landkarte' unweigerlich deutliche Veränderungen erfahren.