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Die Wiener Linien bremsen, aber die Bezirke und die Anrainer wollen die 1989 aufgelassene Gürtelstraßenbahnline 8 auf jeden Fall zurück. Nun muss der Petitionsausschuss entscheiden.
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Wien. Die Debatte um die Wiedereinführung der überaus beliebten ehemaligen Gürtelstraßenbahnlinie 8, die von 1907 bis 1989 von Meidling bis zum Lichtenwerder Platz fuhr, geht in die nächste Runde. Aufgeben? Kommt nicht in Frage. Unter dem Motto "Jetzt erst Recht" gehen die Betreiber der Petition "Wir wollen eine Entlastung der U6" in die Offensive. Vergessen sind die bisherigen Absagen der Stadt Wien, vergessen sind Rückschläge bei Ausschüssen im Jahre 2016. Ein neuer Antrag von Initiator Didi Zach von Wien Anders (KPÖ) liegt derzeit im Petitionsausschuss des Wiener Rathauses und wartet auf Erledigung.
Zach hatte der Stadt im August mehr als 1300 Unterschriften überreicht und dem Ausschuss nun einen Brief übermittelt. "Ich habe an die Vorsitzende geschrieben und ihr mitgeteilt, dass ich als Erstunterzeichner gerne ins Rathaus gehe und unsere Argumente und konkreten Lösungsvorschläge für die Entlastung der U6 darlegen will", erklärt Zach im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Die Stadt will in einer nächsten Phase Stellungnahmen aus den dafür zuständigen Geschäftsgruppen und von den betreffenden Bezirksvorstehern einholen und die Petitionswerber einladen. Bis ein Ergebnis vorliegt, müssen sowohl Zach, als auch der 8er warten.
Simmering bekommt wegen Bürgerinitiative neue Bim
Eine Grundfrage drängt sich aber auf: Kann man in Wien, wo in den vergangenen Jahren immer wieder verschiedene Straßenbahnlinien wegen neuer U-Bahn-Linien eingestellt wurden, mittels Bürgerinitiative erfolgreich für die Betriebsaufnahme einer neuen Straßenbahnlinie kämpfen? Und was ist, wenn das Projekt der Bevölkerung wirklich am Herzen liegt und als Nahversorgungsverkehrsmittel eine zentrale Rolle spielt? Die Antwort lautet: Man kann. Und das sogar, wenn die Wiener Linien keinerlei Interesse zeigen oder strikt dagegen sind. Das hat der 11. Bezirk heuer prachtvoll vorexerziert: Am 11. September musste Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) gemeinsam mit Wiener Linien-Geschäftsführerin Alexandra Reinagl verkünden, dass der lange Kampf der Anrainer für eine eigene Bim in Simmering Früchte getragen hat.
Ab 2018 bekommt der 11. Bezirk zwischen der U3-Station Enkplatz und Kaiserebersdorf wie berichtet eine eigene Shuttle-Linie, wahrscheinlich mit der Linienbezeichnung 11. Eine Straßenbahnlinie mit dieser Bezeichnung fuhr übrigens bis 1974 zwischen Stadlauer Brücke und Friedrich Engelsplatz. Nebenbei sei erwähnt, dass der 71er, der jetzt nur bis zum Zentralfriedhof fährt, dann ebenfalls bis Kaiserebersdorf verlängert und die Linie 6 dann nur noch bis zur U3-Station Enkplatz geführt wird.
Was in Simmering möglich ist, sollte auch am Gürtel zu schaffen sein. Hier kämpft Zach seit mehreren Monaten um die Reaktivierung Gürtel-Straßenbahnlinie 8. Geändert hat sich nur, dass der Bezirkspolitiker nun eine viel größere Anzahl von Entscheidungsträgern - wie etwa sämtliche Bezirksvorsteher entlang des Gürtels (siehe Kasten) - hinter sich hat, als noch vor einem Jahr. Damals wurde der erste Antrag ad acta gelegt. Ein Jahr später folgt nun der nächste Versuch.
Erinnerungen an die Bürgerinitiativen von 1989
Bei vielen Menschen wird diese Debatte Erinnerungen wecken. Denn neu ist der Kampf um den 8er nicht. In der Bevölkerung wurde die Stilllegung schon in den 80er Jahren nicht teilnahmslos hingenommen. Der 1985 gegründete "Verein Fahrgast" und einige Bürgerinitiativen in den Bezirken verbündeten sich. Damalige Argumente für die Beibehaltung der Linie 8 waren deren gute Auslastung, aber auch die Sinnhaftigkeit zweier Verkehrsmittel mit unterschiedlichem Fahrgastpotenzial.
Vor allem die Bewohner des 12. und des 15. Bezirks befürchteten 1989 eine massive Verschlechterung der Versorgung öffentlicher Verkehrsmittel. Mit der Inbetriebnahme der Strecke Gumpendorfer Straße - Philadelphiabrücke der neuen U6, die aus der Umbenennung der letzten Stadtbahnlinien G/GD am 07. Oktober 1989 hervorgegangen war, wurde die Straßenbahnlinie 8 zur Mittagszeit während der Feierlichkeiten für die neue U-Bahn eingestellt.
Mit viel Herzblut und wochenlangen Aktionen sammelten die Gegner der Stilllegung Unterschriften für eine Volksbefragung. Die dafür nötige Stimmenanzahl von 56.000 konnte mit 70.000 Unterschriften klar überschritten werden. Die Sache wirbelte medial so einen Staub auf, dass sie auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters landete.
Der damalige Stadtchef Helmut Zilk stellte sich sofort hinter die Bürger und versprach, die Strecke bis zur Abhaltung der Volksbefragung unangetastet zu lassen. Von 22. bis 24. Februar 1990 fand eine Volksbefragung über die Zukunft Linie 8 statt. Das Gesamtergebnis von 94 Prozent Ja-Stimmen lieferte ein eindeutiges Ergebnis pro Straßenbahn. Allerdings betrug die Wahlbeteiligung nur 6 Prozent. Daher war es für Verkehrsstadtrat Johann Hatzl (SPÖ) leicht, die Stilllegung der Strecke nun endgültig zu vollziehen. Im Sommer 1990 wurde die Oberleitung abgenommen und die ersten Gleise herausgerissen und der 8er verschwand zwar aus dem Stadtbild, aber nicht aus dem Gedächtnis der Menschen.
"Ich weiß nicht, wie lange die Stadt realitätsfremd sein will"
"Das Thema bewegt die Menschen entlang des Gürtels und das Thema bewegt die Stadt", sagt Sabine Auer, die seit 40 Jahren direkt am Gürtel wohnt und den 8er wie viele andere auch so bald wie möglich wieder fahren sehen will. "Ich weiß nicht, wie lange die Stadt noch realitätsfremd sein will, aber eines weiß ich: Der 8er wird wieder fahren, und wenn sich die Wiener Linien auf den Kopf stellen", ergänzt sie. Die Verantwortlichen von den Wiener Linien seien offenbar noch nie mit der U6 gefahren und wüssten nicht, dass diese Linie "ein Graus" sei. Ähnlich wie Auer sehen dies viele, die entlang des Gürtels wohnen.
"Morgens überlastet und abends Drogendealer"
"Als Frau mit Kinderwagen kann ich oft nicht einsteigen, weil die U6 morgens überlastet ist und am Abend kann ich nicht einsteigen, weil die Drogendealer überall herumlungern", sagt Ilse Steglitz, ebenfalls Anrainerin.
Beim Lokalaugenschein am Gürtel mit einigen Petitionsunterstützern können in weniger als einer Stunde mehr als 100 Unterschriften gesammelt werden. Fast alle Befragten haben einen Zorn auf die U6 und brauchen sich nicht zweimal bitten lassen, ihre Daten und ihre Unterschrift für den 8er herzugeben.
Eine ältere Frau war sogar selbst noch am letzten Betriebstag der Linie 8 mit dabei. "Der 8er war immer die leichtere und bequemere Alternative zur Stadtbahn. Zuverlässig, kurze Stationsabstände und regelmäßige Intervalle", sagt sie. Ihren Namen will sie in der Zeitung aber auf keinen Fall lesen.
Zach zeigt sich ob des Interesses für seine Petition erfreut. Die bisherige Argumentation der Wiener Linien, durch die neue U5 würde die U6 ohnedies entlastet, überzeugt die Initiatoren überhaupt nicht. "Es ist fraglich, ob die Betroffenen bis zur Eröffnung im Jahr 2025 warten wollen", sagt Zachs Kollege Fritz Fink, Bezirksrat in Ottakring. Auch nicht das Argument, die Bim am Gürtel würde eine Parallelführung bedeuten. "Da müsste ja auch der 49er, der im 15. Bezirk über drei Stationen parallel zur U3 verläuft, eingestellt werden", so Zach.
Aus dem Büro der zuständigen Stadträtin Sima kam eine klare Absage für den 8er. "Fakt ist, es gibt dort längst keine Gleise mehr, es befindet sich am Gürtel ein Radweg und wir bauen zur Entlastung der U6 bekanntlich eine neue UBahn, die U5 mit dem Linienkreuz U2/U5", hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der "Wiener Zeitung".
Wenn nötig, werden "höhere Instanzen" eingeschaltet
Was Sima aber noch nicht weiß, ist die Tatsache, dass es längst nicht mehr bei den 1300 Unterschriften geblieben ist. Es kommen ständig neue hinzu. Zach hofft, dass durch den geplanten Schulterschluss der Bezirke Bewegung in die Sache kommt. Selten zuvor haben die Wiener die Wiedereinführung einer Straßenbahnlinie so forciert, wie im Zusammenhang mit der Gürtel-Bim.
Eines ist jetzt schon jedenfalls klar: Das letzte Wort in der Causa ist sicherlich noch nicht gesprochen. Falls es auch diesmal zu keiner positiven Lösung im Sinne der Bürger kommt, wollen einige Unterstützer des 8ers "höhere Instanzen" einschalten.
"Die Sache ist sehr einfach. Diesmal lassen wir uns sicherlich nicht blöd abspeisen. Wenn es kein Einlenken der Wiener Linien gibt, dann gehen wir zum Bürgermeister, zum Verkehrsminister und wenn nötig, auch zum Bundespräsidenten", sagt einer von ihnen.
Reaktionen
Alle betroffenen Bezirksvorsteher sprechen sich klar für eine Reaktivierung der Linie 8 aus. Die Wiener Linien hingegen erteilen diesem Wunsch derzeit noch eine Absage.
Silvia Nossek (Grüne), Bezirksvorsteherin Währing:
"Die Einstellung des 8ers damals war ein Kardinalfehler. Die U6 ist am Limit. Ich begrüße es sehr, wenn wieder ein umweltfreundliches Verkehrsmittel dazukommt. Die U6 braucht eine Entlastung. Ich werde beim Schulterschluss der Bezirke für den 8er sicher mitmachen."
Adi Tiller (ÖVP), Bezirksvorsteher Döbling:
"Die Unterschriften muss man ernst nehmen. Die Bezirksvorsteher entlang des Gürtels müssen sich endlich zusammentun. Der 8er gehört dringend reaktiviert. Ich kann ja leicht dafür sein, weil im 9. und 19. Bezirk die kompletten Gleise vorhanden und betriebsfähig sind. Die Wiener Linien sind keine Entscheidungsträger und müssen zur Kenntnis nehmen, dass der 8er eine wichtige Entlastung bringt und der Bevölkerung wichtig ist."
Markus Rumelhart (SPÖ), Bezirksvorsteher Mariahilf:
"Man sieht anhand der vielen Unterschriften, dass die Wiedereinführung der Linie 8 vielen Wienern ein wichtiges Anliegen ist. Wenn es für die Fahrgäste einen positiven Effekt hat und auch machbar ist, bin ich natürlich dafür. Im 6. Bezirk müsste ja nichts neu gebaut werden, da wird halt der 8er zusätzlich zum 6er und 18er verkehren."
Gabriele Votava (SPÖ), Bezirksvorsteherin Meidling:
"Ich bin sicherlich keine, die der Wiedereinführung der Linie 8 Steine in den Weg legt. Ich war nur immer entschieden dagegen, dass man die Meidlinger Hauptstraße für den 8er wieder aufreißt, wo jetzt die Fußgängerzone ist. Wenn die Linie 8 ihren Streckenverlauf in Meidling auf den Gleisen des 62ers bis zum Gürtel absolviert, soll es mir Recht sein. Jedenfalls möchte ich aber klarstellen, dass die Unterschriften ernst genommen werden."
Gerhard Zatlokal (SPÖ), Bezirksvorsteher Rudolfsheim-Fünfhaus:
"Im 15. Bezirk sind wir sicherlich für den 8er. Ich bin kein Freund der U6 und würde eine Wiedereinführung am Gürtel unterstützen. Zwar ist mein Bezirk mit den Linien 6 und 18 bis zur Burggasse bestens parallelversorgt, doch sehe ich ein, dass Menschen, die weiterfahren wollen, hier eine Alternative brauchen. Ältere oder gebrechliche Personen profitieren von den kurzen Haltestellenabständen des 8ers."
Franz Prokop (SPÖ), Bezirksvorsteher Ottakring:
"Die Unterschriften sprechen für sich. Das ist ein Thema. Dieses Projekt ist aber nur realisierbar, wenn es einen Schulterschluss aller betroffenen Bezirke gibt. Ich bin grundsätzlich dafür. Beachten muss man aber bei allen Überlegungen, dass auf einigen Abschnitten der ehemaligen Gleise der Linie 8 Fahrradwege und Gastronomie entstanden sind und dies muss unbedingt miteinkalkuliert werden."
Ilse Pfeffer (SPÖ), Bezirksvorsteherin Hernals:
"Ich war früher dagegen, habe aber meine Meinung geändert. Es ist ein Faktum, dass die U6 als Hauptverkehrsträger restlos überlastet ist und es eine Alternative braucht. Die Wiener Linien können die Wünsche der Bevölkerung nicht ignorieren. Man muss nur auf die Fahrradwege Rücksicht nehmen, damit sie nicht verloren gehen."
Wiener Linien:
"Wir verfolgen solche Debatten natürlich mit Interesse. Eine Reaktivierung des 8er ist aus unserer Sicht aber absolut nicht notwendig und daher nicht in Planung. Eine Parallelführung halten wir für wenig sinnvoll. Die U6 wird durch die U5 ohnehin entlastet werden."
Die Geschichte der Linie 8:
Die Gürtellinie der Straßenbahn erhielt erstmals am 23. März 1907 das Liniensignal 8. Auf Grund des Zweiten Weltkriegs verkehrte sie auf dieser Strecke nur bis 6. April 1945. Erst am 29. Mai 1945 konnte sie ihren Betrieb auf einer Teilstrecke zwischen Liechtenwerder Platz und Hesserschleife wieder aufnehmen. Die gesamte Strecke zwischen Liechtenwerder Platz und Meidling war dann ab 15. Juli 1946 wieder befahrbar. Nach dem Umbau der Stadtbahnstation Meidling Hauptstraße wurde 1968 auch die Linienführung des 8ers geändert. Er fuhr von nun an erst durch die Theresienbadgasse und dann in die Meidlinger Hauptstraße. Die nächste Streckenänderung erfolgte im März 1970. Ab dann fuhr die Linie 8 nicht mehr durch die Sechshauser Straße, sondern bog gleich vom Gürtel in die Ullmannstraße ein. Am 7. Oktober 1989 war der letzte Betriebstag.