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Großprojekt mit ungewissem Ausgang

Von Petra Ramsauer

Politik
Die Christenmiliz NPF hat 500 Mann unter Waffen und nicht vor, diese nach der Vertreibung der IS-Kämpfer wieder abzugeben.
© Ramsauer

Mossul soll aus den Händen des IS zurückerobert werden. Die Schlacht wird nicht einfach.


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Telskuf. Nur einen knappen Kilometer entfernt von hier beginnen die Stellungen der Terrormiliz des "Islamischen Staates" (IS). Trotzdem war es in den vergangenen Wochen und Monaten nahezu totenstill um die irakische Stadt Telskuf 30 Kilometer nördlich von Mossul. Seit vor einem Jahr der IS aus der Stadt vertrieben wurde, blieb Telskuf eine Geisterstadt, nur noch von Soldaten bewohnt. Von den 10.000 Menschen, die hier noch vor zwei Jahren lebten, verblieb die 91-jährige Christina Jibbo. "Ich rühre mich von hier nicht weg, egal was geschieht," sagt sie.

"Ich rühre mich von hier nicht weg", sagt die 91-Jährige aus Telskuf.

Im Inneren der Sankt Jakob-Kirche säumen Trümmer einer vom IS zerstörten Messias-Statue den Altar, auf den Bänken hat sich längst eine dicke Staubschicht angesetzt. Grasbüschel wachsen aus den im Krieg zerstörten Häusern und längst auch aus den Sandsäcken der Truppen, die hier ihre Stellung halten. "Ein, zwei Mal die Woche versuchen vereinzelte Kämpfer einen Selbstmordanschlag, aber sonst ist es ruhig", sagte Caravan Baroushi, der die Peschmerga-Einheiten in der Region kommandiert, noch vor wenigen Wochen. Man warte nun noch auf einen Einsatzbefehl Richtung Mossul, Iraks zweitgrößter Stadt.

Überraschungsangriff des IS

Die Gefahr eines Angriffs von nennenswerter Größenordnung schien ausgeschlossen. In den ersten Maitagen spielten die Kämpfer der Terrormiliz aber einmal mehr ihre zentrale taktische Trumpfkarte aus: den Überraschungs-Angriff. Wie aus dem Nichts tauchten 300 Kämpfer des "Sturm Bataillons" auf und griffen die Stadt und zahlreiche weitere Positionen in der Region an.

Einheiten der kurdischen Peschmerga-Miliz gelang es gemeinsam mit Christenmilizen, den Überfall abzuwehren. Mehr als 100 IS-Kämpfer starben, mindestens ein Dutzend kurdische Kämpfer und auch ein US-Soldat der Eliteeinheit "Navy Seals", die hier im Hintergrund kräftig mitmischen. Der Angriff verlief schlussendlich im Sand, die Botschaft aber erreichte die Adressaten. Es wäre verfrüht zu glauben, dass der IS seine Hochburg Mossul mehr oder weniger kampflos aufgibt.

Bereits am 24. März hatte die irakische Zentralregierung verkündet, dass die Offensive zur Rückeroberung der Stadt beginnt. Von der 80 Kilometer südlich von Mossul gelegenen Stadt Makhmur ausgehend wurden die ersten Dörfer in Windeseile erobert; doch bald setzten Rückschläge ein.

Warten auf die Armee

Die Verlagerung der ersten Gefechte in den Norden, die verstärkten Terrorangriffe des IS in und um Bagdad verstärken das Gefühl, dass die Terrormiliz lang noch nicht geschlagen ist. Bis 2017 könnte es dauern, hieß es zuletzt aus US-Militärkreisen, bis die derzeitige Hochburg des IS, die Stadt Mossul, wieder unter Kontrolle der irakischen Zentralregierung sein werde. "Wir könnten sofort angreifen", erklärt der Peschmerga-Kommandant Baroushi, "aber die irakische Armee ist noch nicht so weit. Deshalb gibt es kein grünes Licht der USA." Darauf müsse man warten, denn die Eroberung Mossuls sei mehr als ein militärisches Großprojekt. Sie liegt außerhalb des kurdischen Autonomiegebietes.

Wer kontrolliert die mehrheitlich von sunnitischen Arabern bewohnte Stadt, wenn der IS einmal vertrieben ist? Diese Frage sei noch nicht gelöst, sagt Baroushi.

Rund 10.000 IS-Kämpfer würden die Hochburg verteidigen. Mit allen Mitteln. "Doch ohne Unterstützung der Bevölkerung in der Stadt können wir wenig ausrichten", meint der kurdische Kommandant. Weder vor noch nach dem Krieg.

Rund 600.000 Menschen leben noch in Mossul, unter dem horrenden Diktat der Terror-Miliz. Im Februar könnte das irakische Meinungsforschungsinstitut IIACSS laut dem britischen "Economist" eine Umfrage unter 120 Bewohnern durchführen: Es war eine magere Stichprobe, aber das Ergebnis illustrierte das enorme Dilemma. Drei Viertel der Befragten sagten, sie wollten nicht von der mehrheitlich von Schiiten dominierten irakischen Armee oder von Kurden befreit werden; gleichzeitig bekräftigten sie zu 94 Prozent, dass sie das Regime des "Islamischen Staates" gleichermaßen ablehnen.

Christen wollen mitmischen

Doch jene, die für den Angriff auf Mossul rüsten, sind zum Großteil Kurden, Schiiten und Sunniten. Auch Einheiten anderer Minderheiten wollen nun mitmischen. Etwa die Christen: Rund 200.000 von ihnen lebten in der Provinz Niniveh, bevor die Terrormiliz 2014 die Region samt der Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt Mossul eroberte. Es gelang zwar im Vorjahr, neben Telskuf einige weitere Dörfer zurückzuerobern. Doch von den 1800 Familien, die in der Region lebten, sind bereits 40 Prozent ausgewandert. Jene, die blieben, haben nun ihre Taktik geändert: Beim anstehenden Krieg um Mossul wollen sie mitmischen. Mit eigenen Verbänden, die nun Seite an Seite mit den kurdischen Peschmerga Stellung bezogen haben. Militärisch spielen die paar hundert Kämpfer keine entscheidende Rolle. Politisch hingegen ist die Bewaffnung von Iraks Christen genauso wie jene anderer Minderheiten ein Alarmsignal für die Zukunft des Iraks, in dem keine Gruppe der anderen zu vertrauen scheint.

"Wir werden Geschichte schreiben. Es ist das erste Mal, dass wir Christen im Irak eigene Milizen haben und kämpfen. Zehntausende Christen haben in Mossul gelebt, wir werden nicht die Ansprüche in der Stadt aufgeben. Wir waren lange genug Statisten. Jetzt nehmen wir eine sprechende Rolle in Iraks Geschichte ein," meint Safaa Khamro.

Der Christ war Bürgermeister in Telskuf. Seine Heimatstadt hat er vor einem knappen Jahr Seite an Seite mit den Peschmerga zurück erobert. Die Camouflage hat er danach anbehalten. Die automatische Waffe bliebt unter dem Heiligenbild in seinem Büro gelehnt, das dann zur Kommandozentrale seiner eigenen Miliz umfunktioniert wurde. Trauen, meint Khamro, könne er niemanden mehr. "Als diese Fanatiker uns überfallen haben, Hundertausende fliehen mussten, Zehntausende verschleppt und massakriert wurden, standen wir ohne Hilfe und Waffen da. Also müssen wir unsere Sicherheit selbst in die Hand nehmen. Dazu sind es nicht nur Unbekannte gewesen, die uns überfallen haben. Viele unserer Nachbarn sind zum Islamischen Staat übergelaufen."

Im Laufe des vergangenen Jahres haben sich fünf solcher christlichen Einheiten formiert. Eine steht unter Khamros Kommando: Die "Niniveh Plain Forces" (NPF), die "Streitkräften der Ebene Ninives". Formal ist seine 500 Mann starke Einheit eine von vielen innerhalb der kurdischen Peschmerga. "Langfristig wollen wir zur Schutztruppe der Christen in diesem Land werden. Sonst gehen hier alle von uns weg." Heute, sagt Khamro, schaue im Irak jeder auf seine Leute und nicht mehr auf den Staat. "Der IS hat uns gezeigt, wie verwundbar wir sind und dass im Irak nur jene Gruppen sicher sind, die ihre eigenen Kämpfer und Waffen haben."