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Angeklagten wird vorgeworfen, für Kurdenorganisation gearbeitet zu haben.
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Ankara.Dass kritische Journalisten in der Türkei auf einem schmalen Grat wandern, haben Verhaftungen und Prozesse in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Immer mehr intensiviert sich der Kampf zwischen Medien, Justiz und Regierung in dem Land, in dem mehr Journalisten inhaftiert sind als im Iran oder China. Nun läuft in Istanbul der größte Journalisten-Prozess in der Geschichte der Türkei.
Angeklagt sind 35 Journalisten sowie kurdische Politiker, Anwälte und Gewerkschafter. Ihnen wird vorgeworfen, für die Organisation "Union der Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) gearbeitet zu haben. Die KCK steht der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe und gilt als Zivilorganisation der Rebellen. Die PKK wolle staatlichen Organisationen unterwandern, heißt es vonseiten der Regierung. "Dieser Vorwurf - ob berechtigt oder nicht - wird benutzt, um lästige Konkurrenten zu eliminieren. Dazu gehören auch Journalisten", erklärt Türkei-Experte Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für internationale Politik gegenüber der "Wiener Zeitung".
Generell steigt der Druck auf Journalisten. "Der türkische Staat ist nach wie vor einer der wichtigsten Wirtschaftsakteure", erklärt Günay. Viele Medienbesitzer seien auch in anderen Wirtschaftsbereichen tätig und würden daher eine "Pro-Regierungs"-Haltung einnehmen, um keine Probleme zu bekommen. "In den letzten Jahren ist es auch vermehrt zu Kündigungen von kritischen Journalisten gekommen."
Den beim Prozess insgesamt 44 Angeklagten drohen bis zu 22 Jahre Haft. Rechtliche Grundlage für den Prozess sind die türkischen Antiterror-Gesetze, deren Einführung im Jahr 2006 zu einer Einschränkung der Grundrechte geführt hat. Beobachter des Prozesses kritisieren auch die politische Einflussnahme auf die türkische Justiz scharf. "Jeder in der Türkei weiß, dass die Justiz für die eigenen Zwecke missbraucht werden kann", sagt Günay.
Gesellschaftliche Gräben
Unterdessen verschärft sich auch das gesellschaftliche Klima in der Türkei. Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Polizeiwache in Istanbul sind am Dienstag der Attentäter selbst und ein Polizist getötet und sieben weitere Menschen verletzt worden. Der Täter habe eine Handgranate in das Gebäude geworfen und sich dann selbst in die Luft gesprengt, heißt es vonseiten der Polizei.
Zu der Tat bekannte sich zunächst niemand; in der Vergangenheit haben kurdische Separatisten, Linksextremisten und militante Islamisten Anschläge in Istanbul verübt. In den vergangenen Monaten ist es immer wieder zu heftigen Gefechten zwischen Militäreinheiten und Kämpfern der PKK gekommen.
Wie tief die Gräben hinsichtlich der Kurdenfrage in der Gesellschaft sind, zeigt eine neue Umfrage. Demnach befürworten mehr als die Hälfte der Wähler die Wiedereinführung der Todesstrafe und die Hinrichtung von Rebellenchef Abdullah Öcalan sowie ein Verbot der legalen Kurdenpartei BDP. Nur 18 Prozent der 1500 Befragten fordern die Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen dem Staat und der PKK.