Für Leiter der "Drehscheibe" geht es bei Kinderbanden nicht um das Alter.
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Wien. Die mediale Aufregung war groß: Vor einer Woche wurde ein Taschendieb nach 16 Tagen U-Haft freigelassen, nachdem er vom Richter im Zweifel für unmündig erklärt wurde. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Am Freitag stand ein Mädchen vor Gericht, das vermutlich derselben Kinderbande angehört, wie der freigelassene Bub. Und auch ihr hatte man nicht geglaubt, dass sie unter 14 ist - in diesem Fall zu Recht: Eine zahnmedizinische Sachverständige bestätigte am Freitag in der Verhandlung, dass das Mädchen "mindestens 17,8 Jahre alt sein muss". Aus formalen Gründen konnte aber trotz erwiesener Strafmündigkeit nicht weiterverhandelt werden. Es wurde auf den 26. Februar vertagt. Da nun die Strafmündigkeit des Mädchens bestätigt wurde, kann sie auch wegen Tatbegehungs- und Fluchtgefahr in U-Haft bleiben.
Für Norbert Ceipek, Leiter der "Drehscheibe" - eine sozialpädagogische Einrichtung des Magistrats, die sich um diese Kinder kümmert -, geht die mediale Aufregung in die falsche Richtung: "Genau das, was jetzt passiert, lässt die Hintermänner der Kinderbanden frohlocken. Was kann denen Besseres passieren, als dass wir uns über das Alter der Kinder streiten", erklärt Ceipek im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Seiner Meinung nach sei auch der freigelassene Bub mindestens 15 Jahre alt gewesen - zumal er immer mit dem Mädchen unterwegs gewesen sein dürfte. Sie seien schließlich auch gemeinsam festgenommen worden und in der Drehscheibe gelandet. Er und das Mädchen - beide aus einer Roma-Familie stammend - sollen einer mindestens 72 Personen umfassenden Kinderbande angehören, gegen welche die Staatsanwaltschaft Wien seit eineinhalb Jahren ermittelt. Einige Verfahren gegen Verdächtige wurden bereits eingestellt, weil die Anklagebehörde den Betreffenden Unmündigkeit zuerkannte.
"Verurteilt zum Stehlen"
Der Freispruch des Buben vergangene Woche war laut Ceipek auf jeden Fall ein Fehler. Seiner Meinung nach ist das die größte Strafe für den Buben gewesen. "Er wurde dazu verurteilt, weiter Geld stehlen zu müssen", betont Ceipek. "Aber erst wenn die Hintermänner gefasst werden, fällt der Druck von den Kindern weg und sie bleiben bei uns", ist der Experte überzeugt.
So teilt Ceipek auch die Forderung von Jugendrichterin Beate Matschnig, Wohngruppen für die betroffenen Kinder einzurichten. Damit könnte man sie von der Straße holen, ihnen helfen "und ihnen den Druck nehmen, täglich ihre 300 Euro abgeben zu müssen". Über die Kinder könnte man dann wiederum an die Hintermänner herankommen. "Das ist der einzige Ansatz, den wir haben", sagt Ceipek.
Konkret sollten laut dem Sozialpädagogen derartige Wohngruppen per Weisung der Richter bestückt werden. "Jetzt sagen die Jugendlichen zu mir: Sie können mir überhaupt nichts vorschreiben, und verschwinden sofort wieder durch die Türe. Wie soll ich ihnen da helfen können?"
Dabei seien die Jugendlichen hundertprozentige Opfer von Ausbeutung, ist Ceipek überzeugt. "Und solange wir uns über das Alter der Kinder streiten, feiern die Hintermänner Jubelfeste." Die Amtsärzte würden sich schon gar nicht mehr trauen, das Alter von den Betroffenen einzuschätzen, weil sie Angst davor haben, etwas falsch zu machen, erklärt der Sozialpädagoge.
Maßnahmen angekündigt
"Selbst die Staatsanwaltschaft wird von der Oberstaatsanwaltschaft geprüft, ob hier alles rechtens abläuft. Ich werde überprüft, ob ich ein Antiziganist bin, nur weil ich behaupte, dass es Kinderbanden gibt. Dabei wollen wir doch alle, dass diesen Kindern geholfen wird und sie eine Chance bekommen. Aber solange wir uns selbst zerfleischen, wird das nicht funktionieren", poltert Ceipek.
Immerhin hat Justizminister Wolfgang Brandstetter diese Woche angekündigt, einen "Schulterschluss" mit den für die Jugendwohlfahrt zuständigen Ländern forcieren zu wollen. Chancen auf Verbesserungen sieht Brandstetter auch durch die bessere Einbindung der Jugendgerichtshilfe. Zugleich müsse auch alles versucht werden, um das Problem an der Wurzel zu packen und der eigentlichen Täter habhaft zu werden.