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Größter deutscher Politskandal begann vor 20 Jahren

Von Claus-Peter Tieman

Europaarchiv

Die Barschel-Affäre hinterließ bis heute viele Fragezeichen. | Kiel. (ap) Vor 20 Jahren, am 12. September 1987, begann im spätsommerlich-beschaulichen Kiel der größte Politskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte: Die Barschel-Affäre. Ins Rollen gebracht hat sie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".


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Unter dem Titel "Barschels schmutzige Tricks" entlarvte das Blatt am Tag vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein jene Verleumdungskampagne, die der damalige Kieler CDU-Ministerpräsident gegen den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm geführt hatte. So war Engholm unter anderem per anonymer Anzeige Steuerhinterziehung angelastet worden. Barschels Auftrag ausgeführt hatte sein Medienreferent Reiner Pfeiffer, der auch Quelle des "Spiegel" war. Der Artikel löste eine Empörungswelle aus, die am Ende die scheinbar unbesiegbare CDU-Regierung in Kiel wegspülte, Barschel das Leben kostete, Jahre später auch das ursprüngliche Opfer Engholm aus dem Amt warf und bis heute Anlass für Prozesse und Anfeindungen ist.

Zunächst versuchte Barschel nach dem Wahlsieg der SPD jede Verantwortung für die Aktionen gegen Engholm von sich zu weisen. Er gibt am 18. September, während der Koalitionsverhandlungen mit der FDP, sogar vor laufenden Kameras sein "Ehrenwort", dass die Darstellungen Pfeiffers falsch seien. Doch nach und nach bricht das Lügengebäude zusammen, die meisten Angaben erweisen sich als wahr. Am 25. September gibt Barschel seinen Rücktritt bekannt. Damit endet die beispiellose Polit-Karriere des glatten CDU-Politikers.

Am 11. Oktober wird der Skandal zur Tragödie. Barschel wird im Genfer Hotel Beau Rivage tot in einer Badewanne aufgefunden, den Körper voller Gift. Es kommt heraus, dass er sich längere Zeit von Ärzten mit einem starken Mittel gegen Angst versorgen ließ.

Mord oder Selbstmord?

Bis heute ist nicht endgültig geklärt, wie die verschiedenen Gifte in seinen Körper kamen. Die Familie hält an einer Mordtheorie fest, die Ermittler schließen Selbstmord nicht aus. 1998 schloss die Staatsanwaltschaft Lübeck die Akte mit dem Zeichen 705 JS 33247/87 - ohne ein endgültiges Ergebnis. Ob Mord, Sterbehilfe oder Selbstmord, die entscheidende Frage blieb unbeantwortet. Bis heute sind Vermutungen über Waffengeschäfte zu hören oder Verweise auf DDR-Reisen Barschels.

Engholm konnte von der Affäre zunächst profitieren: Bei der Neuwahl 1988 ging er als strahlender Sieger hervor. Doch 1993 holte auch ihn der Skandal ein, jetzt unter einem neuen Namen: Schubladenaffäre. Denn die SPD hatte bei der ganzen Sache keine so saubere Weste wie angenommen. Der SPD-Minister Günther Jansen hatte in einer Schublade nach eigenen Angaben 40.000 Mark in bar für Pfeiffer angesammelt und an diesen weiterreichen lassen. Engholm musste in einem Untersuchungsausschuss eine Lüge eingestehen: Er hatte schon früher als zugegeben von Pfeiffers Machenschaften gewusst. Im Mai 1993 musste Engholm als Ministerpräsident zurücktreten.

Bei dieser erneuten Untersuchung der Vorgänge kam der tote Barschel besser weg als bei der erst Beurteilung 1987 durch einen früheren Untersuchungsausschuss. Dennoch blieb bewiesen, dass Barschel gelogen hatte und die politische Verantwortung für die Vorfälle trug.

Die über Jahrzehnte erfolgsverwöhnte Landes-CDU wurde von der Barschel-Affäre in die tiefste Krise ihrer Geschichte gestürzt. Erst nach 18 Jahren, bei der Landtagswahl 2005, konnte sie sich berappeln und mit Peter Harry Carstensen wieder den Ministerpräsidenten stellen.

In der Politik ist Barschel in Schleswig-Holstein kein Thema mehr. Anders in der Justiz: Auf Bitte der Familie Barschel prüft derzeit die Bundesanwaltschaft die Aufnahme eines neuen Ermittlungsverfahrens. Und der Barschel-Chefermittler, der Lübecker Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille, glaubt immer noch, dass es Mord war.