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Der vergeistigte Deutsche, der sinnliche Franzose - alles nur Klischees?
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Wie ich eigentlich auf "meine" Komponisten stoße, werde ich oft gefragt. Je nun - wie eigentlich wirklich? Bei Ernst Pepping und Jean-Louis Florentz war der Grund sehr ähnlich: Ich arbeitete an einem A-cappella-Werk, und der Chorleiter meinte en passant, er habe mit seinem Chor eben Pepping aufgeführt. Also besorgte ich mir die Noten, und es war Liebe auf den ersten Blick: Dieser "Passionsbericht des Matthäus" für Doppelchor a cappella aus dem Jahr 1950 vereinigt wirklich alles, was es an Chortradition gibt. Erregende Deklamation, kontrapunktische Kunst und Klangsymbolik gehen eine einzigartige Verbindung ein. Ist das vielleicht die beste Passionsmusik seit Bach? Ich neige zu einem Ja.
Florentz - ähnliche Situation: Ein Orgelstück ist gefragt, der Organist mag die klangbetonte französische Entwicklungslinie lieber als die deutsche und nennt mir als Geheimtipp Jean-Louis Florentz (2004 mit knapp 57 Jahren verstorben). Ein ungeheures Erlebnis! Der amerikanische Organist Cameron Carpenter ist ja derzeit groß im Gespräch. Er will die Orgel entschlacken, ihr ein neues Erscheinungs- oder wohl Klangbild geben. Das Ergebnis ist jämmerlicher Jahrmarktsorgelklang, bloß 100-fach potenziert. Was Carpenter wollte, hat Florentz längst erreicht: Der Klang seiner Orgelwerke ist sagenhaft. Kein Orchester kann so bunt sein, wie der von Florentz‘ Orgel. Es ist Magie. Einmal imitiert er gar den Klang von Flugzeug-Motoren - aber er transformiert ihn zu einer Gloriole. Natürlich stand Messiaen Pate. Aber im Schatten eines Giganten zu stehen, ist ein guter Aufenthaltsort.
Womit wir wieder einmal beim alten Klischee wären: Vergeistigte Deutsche, sinnliche Franzosen. Irgendetwas muß dran sein. Fängt das nicht schon im Barock an - Bach und Rameau, beide auf gleicher Höhe genial, aber so unterschiedlich, wie zwei Komponisten nur sein können. Bachs höchste Fugen-Vergeistigung hier, da Rameaus farbenwuchernde fantasiepralle Opern, die geradewegs auf Berlioz und Debussy vorausweisen. Ich fürchte, ich bin da eher Franzose. Deshalb faszinieren mich auch jene Komponisten aus deutschsprachigen Gefilden, die eher französisch denken - der Österreicher Thomas Daniel Schlee ist so einer. Doch von ihm soll demnächst einmal die Rede sein.