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Am Anfang waren die Neos chancenlos, nach dem Einzug ins Parlament wurden ihnen Höhenflüge prophezeit. Dann hagelte es Niederlagen. Was kommt jetzt? Eine Analyse.
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Wien. Nationalratswahl 2013, Neos-Hauptquartier in einem Loft im 7. Wiener Gemeindebezirk, das stimmenstärkste Gebiet der Wiener Grünen. Die in Pink gehaltenen Liberalen liegen knapp unter fünf Prozent und schaffen auf Anhieb den Einzug ins Parlament. Im Wahlkampf wurden die Neos noch als sympathisches, aber völlig chancenloses Politik-Experiment abgetan. Die Restbestände des gescheiterten Liberalen Forums und ein paar Ex-ÖVP-Politiker bieten noch keine Aussicht auf Erfolg, meinten Politikbeobachter einhellig.
Aus dem Stand neun Sitze im Parlament zu erkämpfen, war nicht nur eine große Überraschung, dieses Kunststück war bis dahin auch noch keiner Partei gelungen. Und die heimischen Medien und Politikbeobachter mussten sich fortan vor allem mit einer Frage beschäftigten: sind die Pinken gekommen, um zu bleiben?
Was vor vier Jahren mit der Parteigründung der Neos erfrischend und unkonventionell wirkte, scheint heute ein Stück weit auf dem Boden der Realität angelangt zu sein. Das Gerede vom Flügelheben hat sich mit gefühlten Niederlagen (Europawahl, Vorarlberg) und schweren Niederlagen (vor allem bei den Wahlen in der Steiermark und Oberösterreich) etwas abgenützt. Mit dem Einzug in den Wiener Landtag schaffte die Partei einen weiteren Erfolg nach dem Parlamentseinzug. Der Frust der Wähler über die früheren Großparteien SPÖ und ÖVP allein sichert den jungen Neos noch längst keine Wahlerfolge. Parteichef Matthias Strolz weiß um die Gefahr der Vergänglichkeit seines Projekts. Das Liberale Forum, eine Abspaltung der FPÖ, hielt zwei Legislaturperioden durch. Dann war Schluss. Was aus dieser Zeit blieb, ist eine Fußnote in der österreichischen Politikgeschichte. Droht den Neos ein ähnliches Schicksal?
Anders als Deutschland hat Österreich, auch aus handfesten historischen Gründen, in der politischen Parteienlandschaft keine liberale Tradition. Die FPÖ und das Dritte Lager hat nach dem Krieg eine völlig andere Entwicklung genommen als die FDP in Deutschland. In der öffentlichen, politischen Debatte hat das betont liberale Argument daher über Jahrzehnte nur eine geringe Rolle gespielt.
Abgrenzung von FPÖ dominierte liberale Politik
Der Versuch, die FPÖ auch zu einer ideologischen Schwesternpartei zu machen, scheiterte recht rasch, als Jörg Haider am Parteitag der Freiheitlichen in Innsbruck 1986 den Parteichefsessel von Norbert Steger übernahm. Einige Mitstreiter des liberalen Flügels hatten sich einige Jahre später von der FPÖ abgespalten und das Liberale Forum (LIF) gegründet - mit dem bekannten Ende.
Zwar hatte und hat die ÖVP durchaus liberal denkende Politiker in ihren Reihen - und nicht zuletzt kam auch Strolz aus dem Stall der Schwarzen. Was das Staatsverständnis betrifft, ist die ÖVP mit ihren Bünden und der (schwarzen) Wirtschaftskammer als Teil der Sozialpartnerschaft dann doch weit entfernt von ur-liberalen Idealen.
Doch auch das LIF hatte damals nicht primär den Kampf gegen die als verknöchert empfundenen Institutionen geführt, sondern sich stark auf eine linksliberale Gesellschaftspolitik konzentriert, die die etablierten Kräfte SPÖ und Grüne besetzten. Das tat das LIF, um sich vom Rechtskurs der Haider-FPÖ abzugrenzen, sagt LIF-Gründungsmitglied Friedhelm Frischenschlager. Die Wirtschaftspolitik blieb im Hintergrund. In dieser Hinsicht sind sich LIF und Neos durchaus ähnlich. Im erfolgreichen Wien-Wahlkampf 2015 hatten Aussendungen der Partei einen grün-alternativen Touch. Die Zwei-Klassen-Medizin wurde genauso angeprangert wie die Asylpolitik von Heinz-Christian Strache - das Feindbild FPÖ wurde mindestens so stark bedient wie von den Grünen. Außerdem wurde man nicht müde, gegen den rot-schwarzen "Filz" zu wettern, auch kein Alleinstellungsmerkmal. Beim Dauerbrenner Sonntagsöffnung blieb man eine klare Position schuldig. Im pinken Presseverteiler wird zudem rigoros gegendert. Und zwar nicht mit Binnen-I, sondern gleich mit Unterstrich.
Für ihre alternativ-liberal-urbane Politik ist das Wiener Bobo-Milieu empfänglich. Die enttäuschten Liberalen der ÖVP anzusprechen, hat nur in Wien und Vorarlberg besser funktioniert. Auf die Christdemokraten am Land können die Neos nicht zählen. Tendenziell zeigte sich aber ein großes Potenzial der Pinken im jungen Wähler-Milieu. Für marktliberale Forderungen werden die Liberalen meist geprügelt. Bei der EU-Wahl schloss die Spitzenkandidatin Angelika Mlinar nicht aus, die Wasserversorgung privatisieren zu wollen. Der folgende Proteststurm ließ die Pinken zurückrudern. Im Vorarlberger Wahlkampf forderten die Neos die Abschaffung der Wohnbauförderung - was sich auf ihr Abschneiden bei Schwächerverdienenden wohl nicht unbedingt positiv auswirkte. Jüngst wurde Matthias Strolz für die Idee, unbefristete Mietverträge für Vermieter ohne Angabe von Gründen kündbar zu machen und die Mietzinsobergrenzen abzuschaffen, gescholten. Für eine liberale Partei eigentlich logische Positionen - die Neos machen sich mit derartigen Forderungen nicht gerade reihum beliebt.
Wirtschaftsliberale Themen im Schlepptau
So bleibt es bei der Strategie, im urbanen Bereich mit gesellschaftsliberalen Positionen zu punkten und immer wieder marktliberale Testballons steigen zu lassen: Deregulierungsfantasien im Schlepptau der Modernisierungsmission. Mit den Forderungen nach unternehmerfreundlicheren Rahmenbedingungen aber kämpft die junge Partei auch mit der ÖVP um Stimmen - nicht gerade ein leichter Gegner.
Mit dem Liberalismusbegriff gehen die Neos undogmatischer um als seinerseits das LIF. Sie bezeichnen sich als "postideologische Zentrumspartei" - in Zeiten, in denen Ideologie mit Starrheit und Inflexibilität gleichgesetzt wird.
Den eigenen ideologischen Kern stellt man ungern offen zur Schau. Lieber spricht man über Schulautonomie, den drohenden Überwachungsstaat oder die Entrümpelung der Gewerbeordnung. Scharfe Töne gibt es aber bei den Pensionen, die als "schrottreif", ja als Angriff auf die kommenden Generationen bezeichnet werden. In einigen Fragen hätte man eine Mitte-Position und würde nicht auffallen, ist aus der Partei zu hören. Doch um jedes Thema entsprechend zu besetzen, fehlt den Neos die Struktur. Dennoch, nicht nur junge Idealisten begrüßen die neue politische Kraft als frisches Blut für die erstarrte Parteienlandschaft. Politologen trauen den Neos durchaus zu, langfristig eine Wählerbasis zu finden, allerdings eben in den urbanen Gebieten - gewissermaßen als Stadtpartei. Eine breiter aufgestellte Alternative? Da stehen die Grünen im Weg.
Stimmen fischen im grünen Wählerteich
Der Bundesgeschäftsführer der Neos, Feri Thierry, ist um Abgrenzung bemüht: "Die Grünen setzen auf staatliche Regulierung, wir glauben an die Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger", sagt er. "Was wir teilen, ist das Engagement für Grund- und Bürgerrechte oder für Nachhaltigkeit." Mehr aber auch nicht. Strukturell wollen sich die Neos über eine Online-Plattform vergrößern. Dort sollen Menschen zu bestimmten Themen ihre Anliegen einbringen und sich bei der Verwirklichung selbst engagieren können. Das Anliegen soll im Vordergrund stehen, nicht die Partei.
Der Wirtschaftspublizist und Liberalismuskenner Wolf Lotter hält die pinke Wirtschaftspolitik für "nicht akzentuiert genug". Die Neos würden etwa zu wenig über die Zukunft des Sozialstaates sprechen. Die Basisabsicherung sei eine zentrale Frage der Zukunft. Für die Neos sieht er bei den neuen Selbstständigen Potenzial, das die anderen Parteien nahezu auslassen.
Lotter traut den Neos zu, sich im Gegensatz zum LIF zu etablieren. Die Neos können auch wieder über die Abschaffung von Subventionen reden, nur müssen sie erklären, warum das nötig sei. "Parteien machen den Fehler, die Grundlagen auszulassen, aber ins Detail zu gehen", sagt Lotter. "Dafür fehlt den Liberalen der Geist der alten Marxisten, die ein Thema 20 Jahre lang wiederholten, bis es saß."