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Mit begrünten Fassaden und Dächern wollen Städte den Folgen des Klimawandels trotzen. Beim ersten "European Urban Green Infrastructure"-Kongress trafen sich dazu Städteplaner aus ganz Europa im Rathaus.
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Wien. "Die drei wichtigsten Themen sind Wohnen, Wohnen und Wohnen", sagt Juliet Lidgren. Sie ist Städteplanerin im südschwedischen Malmö und sprach im Rathaus über das Ökosystem Stadt.
Das urbane Bevölkerungswachstum ist für die Planer die größte Herausforderung. Immer mehr Menschen zieht es in die europäischen Städte, in Wien sollen 2029 mehr als zwei Millionen Menschen wohnen. Es wird voller - und heißer. Denn die Folgen des Klimawandels sorgen für immer extremere Wetterverhältnisse. Dazu gehören steigende Temperaturen im Sommer, die besonders die Städte zu spüren bekommen.
"Urbane Hitzeinseln" nennen das die Wissenschafter und Städter wissen, was gemeint ist. Neben Hitzewellen gehören auch härtere Winter zu den neuen Wetter-Extremen. Der Klimawandel ist zwar ein globales Problem, das nur global gelöst werden kann, doch gescheiterte Klimakonferenzen und eine Politik, die immer noch stark von der Auto-Lobby beeinflusst wird, machen nicht viel Hoffnung.
Trotzdem können Städte einiges tun, um den neuen klimatischen Bedingungen zu begegnen. Das interdisziplinäre Forschungsteam "Grünstadtklima" an der Universität für Bodenkultur in Wien kam kürzlich zu dem Schluss, dass sich der städtische Klimawandel zwar nicht abwenden, durchaus aber kompensieren lässt. Gelingen soll das mit neuen Grünflächen an Häuserwänden und auf Dächern.
Außerdem sollen Gehsteige und Straßen aus durchlässigeren Materialien bestehen, die sich nicht so schnell aufheizen wie Asphalt und Beton. Für Begrünungs-Befürworter sind Pflanzen Alleskönner, die Häuser im Winter isolieren und im Sommer kühlen können. Das Boku-Team hat errechnet, dass eine begrünte Hausfassade mit 850 Quadratmetern Fläche die Leistung von 75 Klimageräten mit 3000 Watt Leistung und acht Stunden Betriebsdauer erbringt. In den Städtebau-Abteilungen der europäischen Metropolen steht deshalb Begrünung hoch im Kurs. Denn die grünen Bodenflächen reichen bei weitem nicht mehr aus. Wien will ein Vorreiter sein, erste Versuchsfelder sollen das Potenzial zeigen. Das Dach des Wiener Umweltschutzamtes MA 22 wurde begrünt und mit kleinen Teichen aufgehübscht.
Ausgerechnet auf dem Dach einer Garage in der Dresdnerstraße stehen Solarpaneele neben Blumenbeten, eine vom Aussterben bedrohte Bienenart hat sich dort schon angesiedelt. Die gesamte Fassade der MA-48-Zentrale in der Einsiedlergasse ist bereits begrünt, an einem Wohnhaus in der Ortliebgasse ranken Wisterien. Die Stadt finanziert Dach- und Fassadenbegrünungen mit einem Betrag von maximal 2200 Euro. Die Erhaltung müssen dann aber die Hausbesitzer übernehmen.
Teure Türme
Und das ist nicht billig, wie der Grazer Architekt Thomas Pucher bei der Konferenz zu berichten weiß. Sein Büro erstellt die Pläne für die neue Grazer Siedlung Reininghaus, derzeit das zweitgrößte österreichische Bau-Areal nach der Seestadt Aspern. Sie wollen ein möglichst diverses Stadtbild, mit verschiedenen Häusertypen. Statt einer Trabantenstadt sollen in Reininghaus Reihenhäuser neben Hochhäusern und sogar Einfamilienhäusern stehen.
"Unser Plan wirkt chaotisch, hat aber eine wohl durchdachte Struktur." Das erste Reininghauser Gebäude ist ein "Green Tower" und entspricht damit dem derzeitigen Grün-Trend: "Grün ist das neue Glas, alle wollen heute begrünte Gebäude", so Pucher. Vorbild ist unter anderem das Pionierprojekt "Bosco Verticale" (senkrechter Wald) des Mailänder Architekturbüros "boeri studio" des Architektenteams Stefano Boeri, Gianandrea Barreca und Giovanni la Varra. Die beiden 110 und 76 Meter hohen Häuser liegen in der Mailänder Innenstadt und scheinen fast ausschließlich aus üppig begrünten Balkonen zu bestehen. Sie wurden mit insgesamt 900 ausgewachsenen Bäumen, 11.000 Stauden und 5000 Sträuchern bestückt. Auch der Green Tower in Graz ist solch ein Hybrid aus Hochhaus und Garten.
Bei aller Euphorie bleiben die Kosten ein Problem. Die Begrünung habe zehn Prozent der gesamten Baukosten ausgemacht, erzählt der Architekt. Und die Erhaltung sei da noch längst nicht einberechnet. Ein Problem sei zum Beispiel das Laub im Herbst. Es sei veranschlagt gewesen, dass Gärtner sich zwei Mal im Jahr um die vertikalen Gärten kümmern. Aber die großen Mengen Laub müssten regelmäßig entfernt werden. In zwei Jahren soll die neue Siedlung fertig sein, für die anderen Gebäude müssen laut Planer Pucher jetzt günstigere Möglichkeiten her. Wie grün die sein werden, bleibt abzuwarten.
Graues London, grünes Wien
"London ist eine riesige, sehr graue Stadt." Auch wenn Londons Parks legendär sind, sei man von der Begrünung und Fahrradfreundlichkeit von Städten wie Kopenhagen oder Wien noch weit entfernt, berichtet Peter Massini vom Londoner Urban Greening Team. "London ist immer noch sehr autodominiert. Wir müssen mehr Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer schaffen."
Außerdem sollen neue Flüsse geschaffen werden, um Überschwemmungen zu verhindern. In den Sechziger und Siebziger Jahren wurden viele Flussläufe begradigt, betoniert und unter die Erde verlegt. Eine schlechte Entscheidung, denn Überschwemmungen nahmen zu. Das soll in vielen Städten nun rückgängig gemacht werden. Aus ästhetischen Gründen und um für Wolkenbrüche gewappnet zu sein, die mit dem Klimawandel zunehmen.
Die schwedische Städteplanerin Juliet Lidgren schildert ein Beispiel aus Malmö: Die Siedlung Augustenberg galt als eine der ärmsten Gegenden, bei Überschwemmungen war sie immer am schlimmsten betroffen. Das Viertel wurde saniert, anstelle von betonierten Flussläufen fließen jetzt natürliche Bäche mitten durch die Fußgängerzone. Die Re-Naturierung sei geglückt, bei einem starken Wolkenbruch in diesem Jahr sei Augustenberg am wenigsten betroffen gewesen.
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint: Wien wurde im vergangenen Jahrhundert immer grüner. Als 1905 der Wiener Grüngürtel beschlossen wurde, waren 6000 Hektar mit Grünflächen bedeckt, neunzig Jahre später hatte sich die Grünfläche mehr als verdreifacht. Seit das historische Zentrum von Wien 2001 zum Weltkulturerbe ernannt worden ist, gelten viele weitere Areale als geschützt. Mehr als die Hälfte der Fläche sind grün bewachsen.
Doch um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen und der steigenden Feinstaubbelastung entgegenzuwirken, genügen die Bodenflächen nicht. Während die Bauordnung für Neubauten mittlerweile begrünte Dächer vorschreiben, gestaltet es sich bei der Fassadenbegrünung schwieriger, vor allem wenn mehrere Eigentümer beteiligt sind.
Doch die Begrünung rechne sich, so Jürgen Preis von der MA 22. Eine Kletterpflanze ist in der Anschaffung und in der Erhaltung viel günstiger als ein Baum. Grün dämmt und bindet Feinstaub. Jetzt gehe es darum, so der Tenor der Konferenz, mentale und legale Hürden zu überwinden. Es fehle vor allem an wissenschaftlichen Studien, die überzeugend vorrechnen, welchen gesamtvolkswirtschaftlichen Nutzen Städte von neuen Grünflächen haben. Was bringen sie für Klima, Gesundheit und Wohlbefinden der Städter? Eins ist sicher: Grüne Infrastruktur ist teuer - aber noch teurer wäre es wohl, sich nicht gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen.

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