Zwei Start-ups erzählen von den Herausforderungen zwischen Pandemie und einer explodierenden Inflation.
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Pandemie, Energiekrise, Inflation - man könnte meinen, dass die vergangenen Jahre nicht die beste Zeit waren, um ein Unternehmen zu gründen. Die Daten des KSV 1870 widersprechen dieser Annahme: Allein 2021 zählte man rund 67.600 Neugründungen und rechnet auch für 2022 mit knapp 66.800 neuen Unternehmen, aber auch die Gründungen 2020 überstiegen bereits das Vorkrisen-Niveau.
Eines dieser jungen Unternehmen ist Bibliobox, welches Arwa Elabd im September 2020 ins Leben rief. Literaturfans können dort monatlich eine Box bestellen, enthalten sind ein Buch und mehrere Goodies wie Tassen, Socken, Jutebeutel oder Süßigkeiten. Als die Pandemie in Österreich ankam, hatte Elabd eine Vollzeit-Beschäftigung, der, ihrer Einschätzung nach, ein baldiges Ende bevorstehen würde. "Ich habe mir gedacht, ich probiere es mit der Selbständigkeit, bevor ich mir den nächsten Job suche."
Auch Paul (Name auf Wunsch geändert) und seine Lebensgefährtin hatten diesen Entschluss gefasst. Ab Oktober 2021 hatten sie begonnen, mitten im 12. Wiener Gemeindebezirk hochpreisige Pflanzenprodukte für Marktstände am Naschmarkt, diverse Gourmet-Lokale und Edel-Greißlereien herzustellen. "Wir haben uns alle Zahlen angeschaut, die Kosten für Ressourcen, den Aufbau - da ist dann ein schönes Plus rausgekommen." Aufgrund der gestiegenen Kosten ist ihre Rechnung allerdings nicht aufgegangen: Im vergangenen Sommer wurde das Unternehmen aufgelöst und die urbane Produktionsstätte verkauft.
Beweggründe
Paul hat Agrarwissenschaften studiert und seinen Master in Bio-Science absolviert. Seine Partnerin hatte Erfahrung im Permakultur-Bereich und hegte schon immer Interesse für die Natur und für Lebensmittel. Eine große Motivation war neben Entscheidungs- sowie Gestaltungsfreiheit, "der Traum der Selbstständigkeit - etwas von null aufzuziehen und entstehen zu lassen".
Elabd war Deutsch- und Spanischlehrerin an einer Wiener Schule im 22. Bezirk. "Ich hatte im Deutsch-Unterricht eine gesamte Klasse, die Deutsch nur als Zweit- oder Drittsprache hatte. Die Literatur hat nicht ihre Realität widergespiegelt." Auch im Spanisch-Unterricht waren nur Werke vorgegeben, die ausschließlich von europäischen Schriftstellern stammen, obwohl die Sprache auch auf anderen Kontinenten gesprochen wird. Ihr Ziel: "Ich möchte, dass wir einen diverseren Literaturkanon haben und mehr lesen."
Hürden und Chancen
Da Elabd seit 2018 als Bücherbloggerin aktiv ist, hatte sie sich bereits eine Vertrauensbasis im Netz geschaffen. "Die Leute kannten meine Rezensionen. Sie wussten, dass ich gute, vorurteilsfreie und diskriminierungsfreie Literatur empfehle."
Pandemiebedingt waren laut der Unternehmerin viele Unterstützungsangebote für Selbständige nicht verfügbar oder nur noch online möglich. Durch die bestehende Gründungseuphorie war es auch nicht einfach, Termine, beispielsweise bei der Wirtschaftskammer, zu bekommen. Außerdem sei die Start-up-Szene in Österreich sehr exklusiv. "Es ist nicht einfach, als Woman of Colour oder muslimische Frau Fuß zu fassen." Große Hilfe hat sie jedoch von der Wirtschaftsagentur in Wien erhalten. "Egal welche Fragen oder Sorgen ich hatte, sie hatten eine Antwort. Mir ist dadurch sehr viel erspart geblieben."
Der Verkauf der Boxen war trotz Corona erfolgreich. "Ich habe sogar das Gefühl, dass es während der Lockdown-Zeiten tausendmal besser funktioniert hat als jetzt." Elabds Ansicht nach gab es zu jener Zeit eine große Nachfrage für "gute Literatur". Außerdem sei die Black Lives Matter Bewegung ein fördernder Faktor gewesen, welche 2020 auch in Österreich ankam. "In dieser Zeit haben viele Leute gemerkt, dass alle Autoren, die sie lesen, bis auf ein paar Frauen, nur alte, weiße, tote Männer waren."
Die aktuelle Inflationsentwicklung bekommt ihr Unternehmen dennoch zu spüren. "Auch wenn ich das meiste noch immer von zu Hause erledige, merke ich natürlich, dass die Materialien, Geräte und alles, was ich verwende, mich jetzt viel, viel mehr kosten." Während des vergangenen Sommers habe sich die Inflation auch auf die Kaufbereitschaft ihrer Kunden ausgewirkt, wodurch auch Umsatzeinbußen hinzunehmen waren.
Bei einem landwirtschaftlichen Betrieb sei es grundsätzlich zeit- und kostenintensiv, den Start zu bewerkstelligen, meint Paul. Die wirtschaftliche Belastung durch Pandemie und Angriffskrieg war aber einer der Hauptgründe für das Ende des Projekts. "Wir sind unternehmerische Anfänger gewesen und wollten dieses Risiko nicht eingehen. Uns hat die Erfahrung gefehlt, um diese elfprozentige Inflation zu überbrücken." Finanzexperten, die das Paar konsultierte, legten nahe, dass sie 70 Stunden pro Woche arbeiten müssten, um den Erhalt des Unternehmens in solchen Zeiten zu sichern. "So stellen wir uns unser Leben nicht vor."
Es ist aber nicht das einzige Unternehmen, das seine Tätigkeit aufgegeben hat. Daten des KSV 1870 zufolge gab es im vergangenen Jahr fast 50.000 Geschäftsschließungen. Außerdem zählte der Verband 2022 rund 4.800 Unternehmensinsolvenzen - ein Plus von 57,2 Prozent gegenüber 2021. Pro Tag gab es demnach durchschnittlich 13 Pleiten. Interessanterweise waren die Insolvenzzahlen vor der Pandemie höher als im Jahr 2020, als der erste Lockdown verkündet worden war. Laut KSV 1870 sei das auf "massive Unterstützungen durch den Staat" zurückzuführen. Seit September 2021 wurden diese "großteils beendet", weshalb sich die Anzahl wieder erhöhte.
Laut einer Analyse des Instituts liege die größte Gefahr einer Insolvenz stets im dritten Geschäftsjahr. Vergangenes Jahr befanden sich 15,3 Prozent aller Insolvenzfälle, das sind die meisten betroffenen Betriebe, im Jahr drei ihrer Tätigkeit.
Zukunftsaussichten
Bei Bibliobox läuft es aktuell "gut - so gut, dass wir jetzt endlich eine Buchhandlung eröffnen werden", verrät Elabd stolz. Diese solle "ein Ort der Versammlung und Gemeinschaft" sein. Zudem habe man eine Förderung der Mega-Bildungsstiftung erhalten, womit ab dem Frühjahr 2023 auch ein Schulprojekt gestartet werde, bei dem das Kleinunternehmen mit Lehrkräften zusammenarbeitet. "Ich habe nichts zu beklagen, außer dass ich wenig Zeit für mich habe."
Paul beschäftigt sich mittlerweile mit Data Science an einer Universität, die Gründung bereut er trotz des Ausgangs nicht.
"Wir haben unser Konzept. Und wir haben viel Erfahrung erworben. Damit wird eine nächste Gründung deutlich schneller und einfacher funktionieren. Wir wissen genau, bei welchen Instanzen wir ansetzen müssen, um einen landwirtschaftlichen Betrieb zu gründen."