Zum Hauptinhalt springen

Grundkonsens in der Krise

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer, Inhaberin von Symfony Consulting, ist Wirtschaftsmediatorin und Unternehmensberaterin in Wien. Sie ist Sprecherin des Arbeitskreises Industrie 4.0/IoT und Aufsichtsratsvorsitzende des Verbandes Österreichischer Wirtschaftsakademiker.
© Symfony / Klaus Prokop

Die Wahrheit ist notwendig - und die Lösungsorientierung zumutbar.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Ansprachen, die Zumutungen benennen, zeigen die Stärke der Demokratie. Putin braucht die Lüge, doch Scholz und Steinmeier dürfen gern mit der Wahrheit herausrücken", meinte Susanne Beyer jüngst im "Spiegel" über den Unterschied von Krisenkommunikation zwischen Demokratien und Diktaturen. Sie beschrieb damit zwei Möglichkeiten, in Krisenzeiten den Zusammenhalt von Menschen zu fördern: das Trugbild und die Realität. Immer braucht es zur Krisenbewältigung Klarheit darüber, was zu tun ist, und die Möglichkeit des gemeinsamen Handelns. Andernfalls gewinnt die "Rette sich, wer kann"-Einsicht die Mehrheit und mit ihr Chaos und Anarchie. Deshalb ist es gerade für Kriegsherren so wichtig, eine zielgerichtete Nationalgeschichte zu entwickeln.

Im aktuellen Krieg in Europa hat ein Diktator den Angriffskrieg inklusive der für sich selbst daraus ergebenden Herausforderungen gewählt, um die eigene Nation von anderen Problemen abzulenken und der westeuropäischen Konkurrenz zusätzliche Probleme aufzuladen. Wladimir Putin hat sich lange vorbereitet; der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurden, wie auch die österreichische Politik, kalt erwischt.

"In der Demokratie ist das Verhältnis von Politikern und Volk eines unter Erwachsenen", so Beyer am Ende ihres Leitartikels. "Schön wär’s!", denkt da die gelernte Österreicherin. Ein Erwachsenen-Verhältnis bedeutet "Benennen, was ist" und Kommunikation auf Augenhöhe. Beides erfordert Transparenz und eine von Tatsachen und Respekt geprägte Diskussionskultur. Dazu gehört auch, zwischen "Was ist technisch möglich?" und "Wie wollen wir leben?" zu unterscheiden.

Das Verhältnis von Österreichs Politik zur Wählerschaft ist dagegen mehr vom im Unklaren gehaltenen patriarchalen Verhältnis des wissenden Erwachsenen zu seinem Kind geprägt: Transparenz von Verwaltungsvorgängen wird noch immer mit dem Hinweis auf Amtsgeheimnis und Datenschutz verhindert, und Problemgebirge wie Justiz, Pflege, Bildung, Folgen des demografischen und des Klimawandels werden konsequent kleingeredet. Folgerichtig wird auch im dritten Jahr der Pandemie und im ersten bevorstehenden Energiekrisenwinter auf Beschwichtigung gesetzt und wie schon 2020 per Gießkanne so lange Geld auf das Problem geworfen, bis Ruhe ist.

Eine trügerische Ruhe. Denn sowohl bei Experten als auch beim einfachen Volk wird der Verdacht immer öfter evidenzbasiert bestätigt, dass der Politik das langfristige Zukunftskonzept fehlt, sie den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht und auch nicht bereit ist, darüber konsequent gemeinsam - also quer über alle Parteien- und Bundesländergrenzen hinweg und mit den Bürgern - nachzudenken und angesichts der multifaktoriellen Krisen eine von Wahltagen unabhängige Strategie zu entwickeln und operativ umzusetzen.

Österreich braucht in der Krise verantwortungsbewusste Entscheidungsträger, die sich erwachsen verhalten und einen langfristigen, konstruktiven Grundkonsens herstellen. Andernfalls haben wir noch mehr Wutbürger auf der Straße und in den Plenarsälen und Krisen ohne Ende.