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Katrin Göring-Eckardt wird zweite Fraktionschefin der Grünen.
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Berlin/Wien. Wenn sich zwei Realos streiten, freut sich der Dritte - in diesem Fall die Fundis. Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl kürten die deutschen Grünen am Dienstag die beiden Vorsitzenden der Parlamentsfraktion. Traditionell wird der Posten von zwei Personen bekleidet, schließlich müssen der linke Fundi-Flügel und ihr bürgerlicher Widerpart der Realos zufriedengestellt werden. Während die Fundis mit dem Verkehrsexperten Anton Hofreiter nur einen Kandidaten aufstellten, der vom pragmatischen Parteiflügel zähneknirschend mitgetragen werden musste, schwächten sich die Realos bei der Wahl "ihrer" Kandidatin selbst. Sie ließen Katrin Göring-Eckardt und Kerstin Andreae gegeneinander antreten.
Wenig überraschendes Resultat: Das Realo-Lager war geteilt, die für die Fundis akzeptable Göring-Eckardt erhielt deren Stimmen und wurde von insgesamt 41 Abgeordneten gewählt. Die studierte Ökonomin Andreae - sie wollte mit ihrer Kandidatur "neue Brücken zur Wirtschaft schlagen" - erhielt lediglich 20 Stimmen.
Niederlage für Kretschmann
Göring-Eckardt kehrt damit in das Amt zurück, das sie bereits während der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder innehatte. Als Fraktionsvorsitzende verteidigte sie von 2002 bis 2005 mit Verve die umstrittenen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der Agenda 2010. Im aktuellen Wahlkampf passte sich Göring-Eckardt aber ganz dem Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit an, den SPD, Grüne und Linkspartei vertraten. Die 47-jährige Thüringerin galt zunächst als Angebot an bürgerliche Wähler, konnte und wollte dem Linkskurs von Co-Spitzenkandidat Jürgen Trittin aber nichts entgegensetzen.
Die Niederlage von Kerstin Andreae schmerzt insbesondere Winfried Kretschmann. Nach dem Wahldesaster - die Grünen verloren über zwei Prozentpunkte und landeten bei lediglich 8,4 Prozent - kritisierte Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident massiv den Linksdrall der Wahlkampagne. Die nun gescheiterte Kandidatin Andreae stammt wie der erste grüne Landeschef aus dem Südwesten und galt als Fingerzeig an die Fundis, dass die Zeit ihrer Hegemonie vorbei ist. Diese scheint jedoch kaum gefährdet, solange den Realos einfachste taktische Fehler wie bei der Wahl um den Fraktionsvorsitz unterlaufen.
Nächste Chance am Parteitag
Lernfähigkeit können die Realos bereits in knapp zwei Wochen beweisen: Dann küren die Grünen auf ihrem Parteitag eine neue Spitze. Nach dem Rücktritt von Claudia Roth und Cem Özdemir - er bewirbt sich abermals - muss wie in der Fraktion eine neue Führung gefunden werden. Und auch hier gilt die Grundregel: ein Posten für einen Fundi, ein zweiter für einen Realo.