Zum Hauptinhalt springen

Grüne Gier

Von Judith Belfkih

Leitartikel

Ohne das Schielen nach Profit wird die Energiewende nicht gelingen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Im Jahr 2023 werden Prognosen zufolge weltweit 1,6 Billionen Euro in den Ausbau erneuerbarer Energie investiert worden sein. Damit übertreffen die Investitionen in nachhaltige Energie laut der Internationalen Energieagentur (IEA) erstmals jene in die Förderung von Öl, Gas oder Kohle. Gute Nachrichten in Bezug auf die Klima- und die Energiekrise. Die viel zitierte Energiewende, so das Fazit der IEA-Studie, scheint damit an ihrem lange erwarteten Wendepunkt angelangt zu sein. Es wird deutlich schneller mehr Geld in diesen Sektor gepumpt als erwartet.

Wie viele Nachrichten hat auch diese einen fahlen Beigeschmack: Technologisch sind China und die Industriestaaten weit voran etwa in der Solarenergie. Ausgerechnet in den sonnenreichsten Regionen der Welt erweist sich die Investitionstätigkeit meist als schwach - finden sich dort doch viele wenig finanzstarke Länder des sogenannten globalen Südens. Zudem sind die Investitionen in fossile Energie nach wie vor zu hoch - und keinesfalls rückläufig.

Dennoch: Die Zeichen mehren sich, dass es die Wirtschaft sein wird, die der Energiewende den entscheidenden Schwung verpassen wird. Auch der heimische Arbeitsmarkt lässt Umbrüche in diese Richtung erkennen. In einer Aktuellen Stunde im Nationalrat berichtete Arbeitsminister Martin Kocher von 15.000 sogenannten Green Jobs, die derzeit vakant seien. Die Nachfrage in Bezug auf nachhaltige Technologien und Produkte steigt also kontinuierlich. Betriebe und Ausbildungsstätten kommen aktuell nicht damit nach, entsprechend qualifiziertes Personal auf den Arbeitsmarkt zu bringen.

Der globale Markt wurde in den vergangenen und gegenwärtigen Krisen für viele Schieflagen und Fehlentwicklungen gescholten. Zu Recht. Von ausgelagerten Kosten bei der Produktion von Gütern aller Art in Schwellenländer bis hin zu energieintensiven Lieferketten: Der sich beschleunigte Kapitalismus, der die nach wie vor auf Wachstum ausgerichtete Weltwirtschaft antreibt, ist an vielen aktuellen Problemen massiv mit-, wenn nicht sogar ursächlich beteiligt. Zwei der zentralen Krisen - Energie und Klima - fußen in den Mechanismen des Marktes. Gierig wird der Markt bleiben. Das liegt in seinem Wesen. Doch der im Augenblick zunehmende Hunger auf nachhaltige Lösungen scheint weit deutlicher als die Politik in der Lage zu sein, bei Energiesicherheit und Erderwärmung effektiv gegenzusteuern.

Freilich steckt hinter der neuen grünen Gier das Schielen auf Profit - und nicht die Sehnsucht nach Weltverbesserung. Angesichts der durch Klimaforscher in den Raum gestellten Dringlichkeit und der anhaltenden Teuerungen im Energiesektor spielt das keine Rolle. Da genügt es, wenn Menschen aus den scheinbar falschen Motiven das Richtige tun.