Hannover - Die deutschen Grünen haben eine neue Doppelspitze. Ein Bundesparteitag wählte am Sonntag die bisherige Wehrexpertin Angelika Beer und den bisherigen Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer zu neuen Parteichefs. Beer und Bütikofer treten die Nachfolge von Claudia Roth und Fritz Kuhn an. Beide hatten in der Nacht auf eine erneute Kandidatur verzichtet, nachdem ein von der gesamten Führungsmannschaft der Grünen getragener Vorstoß gescheitert war, die Trennung von Amt und Mandat zu lockern.
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Die deutschen Grünen hatten ihr Deja-vu: Zum x-ten Mal stimmte ein Parteitag über die Trennung von Amt und Mandat ab, zum x-ten Mal lehnte eine Sperrminorität der Delegierten die Aufweichung der Satzungsklausel ab. Die Folgen waren in Hannover jedoch gravierender als sonst. Nach einem Nachmittag endloser Debatten und Abstimmungen bis tief in die Nacht stand die Partei kopflos da. Das erfolgreiche Führungsduo Claudia Roth und Fritz Kuhn - beide seit September Bundestagsabgeordnete - durfte am Sonntag nicht mehr kandidieren.
Nur acht Stimmen fehlten
Kopflos erschien die Entscheidung den Delegierten der Mehrheit, die Roth und Kuhn weiter im Amt sehen wollten. Für das erforderliche Zweidrittel-Quorum fehlten nur acht Stimmen. Die beiden Parteichefs, die bereits im Oktober in Bremen nach einer ähnlichen Parteitagsentscheidung vor den Scherben ihrer Parteikarriere standen, hatten sich nur deshalb in Hannover zur Kandidatur bereit erklärt, weil sie von Seiten vieler Landes- und Kreisverbände dazu ermuntert worden waren.
Die Lösung schien einfach: Um eine Führungskrise, wie sie dann doch in Hannover heraufbeschworen wurde, zu verhindern, wurde die Entscheidung über die Trennung von Amt und Mandat an die Basis verwiesen. In einer Urabstimmung sollen die Parteimitglieder im kommenden Frühjahr darüber befinden, ob künftig zwei der sechs Vorstandsmitglieder ein Abgeordnetenmandat wahrnehmen dürfen.
So weit folgten die Anhänger der Trennung von Amt und Mandat auch dem Ansinnen ihrer Gegner. Darüber hinaus sollten die Delegierten in Hannover dann noch eine Ausnahmeregelung annehmen, nach der Roth und Kuhn bis zur Urabstimmung weiter amtieren dürften.
Doch die Appelle, wenigstens diese Übergangslösung zu akzeptieren, verhallten bei mehr als einem Drittel der rund 750 Delegierten ungehört. Diese setzten Strukturprinzipien über Personen und taten so, als ließen sich beide Fragen - die der Satzung und die des Parteivorsitzes - getrennt voneinander beantworten. Die Landesvorsitzende von Niedersachsen, Heidi Tischmann, etwa erklärte schon vor der Abstimmung ungerührt: "Es gibt genügend Grüne auch ohne Mandat, die die Aufgabe meistern würden."
Fischer: "Kerze anzünden"
"Hoffen, beten und eine Kerze anzünden", dass die Basis sich richtig entscheiden möge, wollte indes der "heimliche Vorsitzende" Joschka Fischer. Er könne eine Ablehnung der Satzungsänderung nur dann begreifen, wenn Roth und Kuhn nicht allseits Zustimmung fänden. Er verwies auf den Zusammenhang von Personen und Strukturen. Nur mit einem geschwächten Vorstand könnten sich "heimliche Strukturen" herausbilden, betonte er. Noch vor der Abstimmung und mit einem Quäntchen Optimismus in der Stimme sagte Kuhn, es wäre "keine Katastrophe, wenn Claudia und ich nicht kandidieren könnten". Es wäre aber gleichwohl eine Frage der politischen Klugheit, ihnen die Wiederwahl zu ermöglichen. Hinterher zeigte er sich "persönlich traurig". Tapfer fügte er hinzu, die Minderheit habe ein Recht, so zu entscheiden. Claudia Roth nahm die Entscheidung kämpferisch hin und unterdrückte die Tränen, die noch in Bremen geflossen waren. "Es gibt jetzt kein Beleidigtsein. Es geht um die gemeinsame Sache."
Kein Plan für Krisenfall
Wütend reagierten die Delegierten allerdings, dass im Sinne der gemeinsamen Sache kein Plan B für den Krisenfall vorlag. Es erforderte hektische Beratungen in der Nacht, um drei Bewerber aus dem Hut zu zaubern. Gewählt wurden mit vergleichsweise wenig Enthusiasmus die Verteidigungspolitikerin Angelika Beer und der ehemalige Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer. Bütikofer suchte die Kontinuität: "Den Kurs der Integration, den Claudia und Fritz begonnen haben, habe ich im Bundesvorstand mitgeprägt und will ich fortsetzen."