Noch gilt Kamerun dank seiner ursprünglichen weiten Waldflächen - anders als manche Nachbarstaaten - als grüne Schatzkammer. Damit dies so bleibt, wurden vor einigen Jahren die EU und die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Rahmen eines Entwicklungsvorhabens im Südwesten des Landes aktiv. Das exemplarische, multilaterale Projekt für Mensch und Tier soll dazu beitragen, die wertvollen natürlichen Ressourcen auf Dauer zu bewahren.
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Ehemalige Jäger durchkämmen den Urwald. Doch sind sie nicht mit Schlingen, Speeren oder modernen Handfeuerwaffen unterwegs, sondern bestenfalls mit Laser-Rangefindern, mit deren Übung sich die tierlichen Waldbewohner punktgenau orten lassen. So erfassen die früheren Fallensteller systematisch - Transekt für Transekt - den lebendigen, beweglichen Reichtum des gemeinsamen Lebensraums.
In der Schnittachse zwischen Kongobecken und Guineabogen liegt Kamerun gewissermaßen in der "Achselhöhle" des Schwarzen Kontinents. Je nach Blickwinkel wird das 475.000 Quadratkilometer große Land als westlichster Staat Zentralafrikas oder als östliche Begrenzung des westafrikanischen Subkontinents eingeordnet. Die einstige deutsche Besitzung wurde zunächst in ein größeres französisches und kleineres englisches Mandatsterritorium aufgeteilt und nach dem Zweiten Weltkrieg von den beiden Kolonialmächten als Treuhandgebiet der UN bis zur Unabhängigkeit 1960/61 verwaltet. Mit dem Eintritt in die Souveränität wurde ein Teilgebiet im Nordwesten an Nigeria abgetreten - ein politisches Indiz der sozio-geographischen Verwandtschaft beider Staaten.
Heute leben in Kamerun 16 Millionen Menschen, zumeist unter entbehrungsreichen Bedingungen. Das Land ist somit etwa zehnmal dünner besiedelt als Deutschland. Je 40 Prozent der Bewohner bekennen sich zu Naturreligionen bzw. christlichen Konfessionen, 20 Prozent sind Muslime. Obwohl Kamerun mit den üblichen Problemen der Region wie ethnischer Heterogenität, starker Aidsdurchseuchung und Korruption konfrontiert ist, gilt es etwa nach dem Factbook der CIA als vergleichsweise stabil - gemessen an schwarzafrikanischen Verhältnissen. Kamerun dehnt sich vom äquatornahen, feuchtheißen Regenwaldgürtel bis in den Sahel und weist somit vollkommen gegensätzliche Klima- und Landschaftszonen auf. Das Relief reicht vom Tieflandbecken am Atlantik bis zum 4.000 m hohen Kamerunberg im Westen.
Maßvollere Forstwirtschaft
Gemeinsam mit dem benachbarten, etwa doppelt so großen Nigeria verfügt Kamerun noch über nennenswerte Primärwaldareale mit reichem Endemismus, also einer Vielzahl von Organismen, die ausschließlich in dieser Region und nirgendwo sonst vorkommen. Nachdem auf dem Umweltgipfel von Johannesburg dank der Zusagen Rußlands, Chinas und Kanadas erstmalig doch eine weltweite Vereinbarung zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes in greifbare Nähe gerückt ist, bietet sich nun auch für die waldreichen Tropengebiete eine Chance, auf lange Sicht von Waldschutzmaßnahmen zu profitieren. Zusätzlich trägt die Anerkennung von Artenschutz und des Werts von Genressourcen zur Aussicht auf zukünftige Nutzungsmöglichkeiten bei. Mit dem Beitritt zur Tropenholzkonvention von 1994 hatte Kamerun bereits zuvor einen kleinen Schritt in Richtung einer maßvolleren Holzbewirtschaftung getan. Gelingt es jedoch nicht in der Praxis, die einheimischen Siedler für die Durchsetzung nachhaltiger Nutzungsprinzipien zu gewinnen, bleiben alle Abkommen und gutgemeinten Absichtserklärungen graue Theorie. Dies trifft zumal auf Projekte des Natur- und Biotopschutzes zu. Die Zusammenarbeit von offiziellen Entwicklungsdiensten und NGOs mit der örtlichen Bevölkerung sollte hier Abhilfe schaffen und wurde seit den 90-er Jahren stark forciert. Sogenannte integrierte Naturschutz- und Entwicklungsvorhaben (ICDPs) am Rande von Schutzgebieten sollten die ländliche Entwicklung vorantreiben und dabei die Interessen von Bevölkerung und langfristigem Naturschutz zur Deckung bringen. Diese Förderungsstrategie vertraute auf die Eigeninitiative und Einsicht der Dorfbewohner.
Doch die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Solange wirksame Kontrollen fehlen, werden die natürlichen Populationen weiterhin "übernutzt", teilweise sogar noch massiver als zuvor. Wozu soll es etwa gut sein, Großtiere zu erhalten, insbesondere wenn die eigene Ernährungslage kritisch ist und zugleich weltweit eine starke Nachfrage nach Bushmeat (also Wildfleisch aus afrikanischen Urwäldern) herrscht? Dagegen verspricht die Jagd für die lokale Bevölkerung kurzfristig Entlastung. Gegen solche verständlichen Denk- und Handlungsmuster helfen freilich zwei Ansätze: Die Freisetzung von Emotionen, vor allem jedoch die anschauliche Selbsterfahrung. Was zunächst paradox erscheinen mag, entpuppte sich zumindest in Kameruns Korup-Region als aussichtsreiche Disziplinierungsmethode: Man werbe am besten ortskundige Jäger - und frühere Wilderer - für die laufende Erfassung der lokalen Tierbestände an und beteilige sie so an der Überwachung der Bestandsentwicklung der jagdbaren Arten.
Ein solches Biomonitoring führt den Teilnehmern des Zensus unerbittlich vor Augen, daß allein stabile Wildtierbestände die unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige und ertragreiche Nutzung darstellen. Erprobt wird exakt diese Methode in der Korup Support Zone, einer Pufferzone um den Korup National Park in Südwestkamerun an der Grenze zu Nigeria. Beachtliche 6.000 km² misst dieses Stück Tieflandregenwald. Hier leben 50.000 Menschen, verteilt auf knapp zweihundert Ortschaften, einem halben Dutzend davon im Nationalpark. Den immergrünen Lebensraum teilen sich die Angehörigen der verschiedenen Stammesgruppen mit Waldelefanten, Rotbüffeln und Schimpansen. Ein Fünftel aller afrikanischen Affenspezies ist hier vertreten. Das Projekt-Gebiet umfasst den Korup-Nationalpark selbst und die angrenzende "Unterstützungszone" (Support Zone), die ebenfalls einen hohen Waldanteil aufweist, einschließlich dreier Staatswälder sowie ausgedehnter Holzkonzessionsflächen.
Zusätzlichen Wert erlangt die Region dadurch, daß sich die Waldflächen weit in das benachbarte Südost-Nigeria fortsetzen. Dort befinden sich auch einige Nationalparks. Somit steht ein ausgedehntes klima-relevantes, zusammenhängendes Areal zur Verfügung, in dem sich allem Raubbau und allen Nachstellungen zum Trotz noch intakte und überlebensfähige Pflanzen- und Tiergesellschaften gehalten haben. Waldpaviane (Drill), die endemischen Preuß-Stummelaffen, eine besondere Rasse des Schimpansen und die eigentümliche Blaustirn-Stelzenkrähe haben hier ihre Heimstatt. Noch streifen buntgemischte Primatenverbände und heimliche Duckerantilopen durch den Tieflandwald des Korup. Allerdings nimmt der Nationalpark lediglich ein Fünftel des Korup ein. Die Folgen: Starke Wilderei, massiv abnehmende Bestandszahlen. Die Ausbeute der Bushmeat-Jäger wird indes immer geringer. Allerdings würde der Park auch ohne deren "Waidwerk" - von Rodungsarealen umringt und von den umliegenden Waldreservaten abgeschnitten - auf lange Sicht seine Schutzfunktion einbüßen.
Hoffnung bringt nun das Entwicklungsprojekt, in dem staatliche Stellen, die deutsche GTZ, das Zentrum für Naturschutz der Universität Göttingen und sogar Holzkonzessionäre zusammenwirken. Unter der Direktive des Umwelt- und Forstministeriums koordiniert das Cameroon Programme Office des WWF die multilateralen Aktivitäten. Weitere personelle Unterstützung gewährt Kameruns Agrarministerium. Einige Mitarbeiter wurden unmittelbar von der EU und der GTZ angestellt. Das übergeordnete Ziel besteht darin, die Artenvielfalt des Parks zu erhalten und die Naturressourcen in der Unterstützungszone ökologisch nachhaltig und sozial verträglich zu bewirtschaften. Die Nutzung in der Support Zone soll den Jagd- und Rodungsdruck auf den Nationalpark verringern und so den Fortbestand der dort lebenden Tierpopulationen auf Dauer sichern.
Auf die Jäger ist Verlass
Die fachliche Kompetenz des Biomonitoring steuert das Zentrum für Naturschutz der Universität Göttingen bei. Der Zoologe Matthias Waltert ist gewissermaßen die Seele des Projekts. Vor allem aber ist die lokale Bevölkerung beteiligt. Einheimische, zumeist frühere Jäger, wurden angeworben und zu Feldassistenten herangebildet. Jeweils drei bilden ein Team, das ein Koordinator des gleichen Volksstamms und ein ortsansässiger Wissenschaftler betreuen. In ausgewählten Holzkonzessionsarealen registrieren die Eco-Teams auf bestimmten Routen regelmäßig 50 Vogel- und Säugerarten. Als Kontrollflächen dienen einerseits ungestörte Waldparzellen, andererseits Holzeinschlagssektoren. Dem zwingenden, unbestechlichen Vergleich der Wilddichten vermag sich keiner der Ortskundigen zu entziehen. Dies ist die Vollstreckung des Leitprinzips: Nichts überzeugt mehr als die eigenen Sinne, die eigene Erfahrung. Und zudem kostengünstig. "Ein Euro bewirkt hier mindestens soviel wie der zwanzigfache Betrag in Deutschland," meint Matthias Waltert.
Das Biomonitoring soll den Oroko und Ejagham zur Einsicht in den Zusammenhang zwischen intaktem Lebensraum und Wildreichtum verhelfen und die Vorteile gezügelter Waldnutzung als dauerhafte Lebens- und Nahrungsbasis schmackhaft machen. Ohne die Respektierung der örtlichen Voraussetzungen, vor allem der sozialen Gepflogenheiten ist hier freilich kein Staat zu machen. So heißt es bei der Festlegung der Kontrollareale, auf die Dorfgrenzen zu achten, da nur Angehörigen der betreffenden Siedlung der Zutritt erlaubt ist.
Zudem galt es in einer Trainingsphase zunächst die lokalen Bezeichnungen der Tierarten und das zoologische Wissen der Feldassistenten zu ermitteln. Allerdings stellte das indigene Personal seine Kompetenz schlagend unter Beweis, Vermochte es doch beispielsweise auf Anhieb die sieben Vertreter der Nashornvögel an Flügelschlag und Stimmen zu unterscheiden. Nicht nur bei den zu Öko-Experten mutierten Jägern, vielmehr auch in den Dorfgemeinschaften zeigte das Monitoring Wirkung. Hatten sich die Siedler zuvor über die theoretisch bestehenden Jagdgesetze einfach hinweggesetzt oder diese nicht einmal gekannt, wurde ihnen mit einem Mal der Wert ihrer einzigartigen Fauna bewußt. Die angestoßene Diskussion über die traditionelle Jagdstrategie führte mancherorts bereits zu Einschränkungen bei der Jagd. Bestandsmanagement repräsentiert jedoch nur eine Komponente nachhaltiger Wertschöpfung.
Die Gesamtstrategie sucht schonenderen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen, verbesserte kleinbäuerliche Bewirtschaftungsmethoden und kontinuierliche Nutzung von Sekundärwaldprodukten zu vereinen. Grundlage ist stets die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. Dorfkomitees sprechen bereits mit. Das wichtigste ist der Mentalitätswandel bei allen, die Zeit drängt. Die neuerdings gegründete Göttinger Privatinitiative "African Nature e. V." will Aufklärung und Monitoring fortführen und bemüht sich langfristig um die - international zunehmend anerkannte - Förderung durch Treuhandfonds, den beginnenden Mentalitätswandel in der Region dauerhaft zu verankern.
Kontaktaufnahme mit der African Nature e. V. (Göttingen) für Biologische Diversität und Nachhaltige Entwicklung ist möglich via E-mail: mwalter@gwdgde (Generalsekretär: Dr. Matthias Waltert). (Spenden auf Kto.-Nr. 120808 bei der Sparkasse Göttingen, BLZ: 26050001).