Zum Hauptinhalt springen

Grüne Sehnsucht nach mehr Humor

Von Walter Hämmerle

Politik
Ulrike Lunacek (51) ist langjährige außenpolitische Sprecherin, Klub-Vizechefin sowie Co-Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei. Foto: WZ/Newald

Lunacek fordert grünen New Deal für Europa. | "Kandidatur gegen Voggenhuber keine Strafaktion." | "Wiener Zeitung": Was ist nur los mit den Grünen? Kaum ist die Führungsfigur Van der Bellens weg, beginnt die Partei wieder Streitereien öffentlich auszutragen. | Ulrike Lunacek: Nein, so sehe ich das nicht - solche Situationen hatten wir auch unter Van der Bellen immer wieder. Es ist bei den Grünen nun einmal so, dass manche Diskussionen öffentlich ausgetragen werden, auch wenn ich darüber nicht immer froh bin.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Außenstehenden fällt es nicht ganz leicht zu verfolgen, worum es genau bei der jetzigen Auseinandersetzung geht: Ein grüner Bundesrat sagt, bei seiner Partei reiche es für Frauen nicht, wenn sie Brüste hätten . . .

Das habe ich für eine ausgesprochen unglückliche Formulierung des Kollegen Dönmez gehalten .. .

Dabei wollte er grünen Frauen damit doch sogar ein Kompliment machen.

Schon, nur hat er das extrem ungeschickt formuliert. Das alles ist für mich aber keine große Debatte, wichtiger wäre, darüber zu reden, in welchen Bereichen sich die Grünen neu aufstellen, öffnen müssen als Konsequenz aus dem schlechten Wahlergebnis. Bei den Themen Integration und Migration dürfen wir nicht die Augen vor Problemen verschließen.

Haben Sie den Eindruck, diese internen Debatten bei den Grünen interessieren die Bürger?

Ich erhalte sehr unterschiedliche Rückmeldungen. Persönlich würde ich mir wünschen, solche Debatten manchmal auf eine andere Ebene zu heben. Würden wir das mit etwas mehr Humor und weniger verbissenem Ernst sehen, ließe sich auch die Brisanz herausnehmen. Manchmal finde ich, wir brauchen ein bisschen mehr Humor.

Sie kandidieren beim Bundeskongress Mitte Jänner für das Amt der Spitzenkandidatin für die EU-Wahl im kommenden Juni gegen Johannes Voggenhuber und Eva Lichtenberger. Mit welcher Botschaft?

Zuallererst einmal sind wir alle drei gestandene grüne Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Mein Antreten verstehe ich als klare Ansagen an all jene, die eine starke Europäische Union wünschen, die aber nicht vor allem liberalisiert, sondern für klare Regeln gerade in Zeiten einer schweren Wirtschaftskrise sorgt. Insbesondere die Finanzmärkte bedürfen strengerer Regulierungen. Gleichzeitig muss sich die EU zu einer Institution entwickeln, die die Menschen vor den negativen Folgen der Globalisierung schützt. Diese Rolle können die Nationalstaaten nicht mehr erfüllen, dazu braucht es eine starke EU. Ich will diese EU-Wahl zu einer Richtungsentscheidung machen: Wer prägt den Weg aus der Krise? Die neoliberalen Industrielobbyisten oder die Grünen mit ihrer Forderung nach Umstrukturierung der Wirtschaft in Richtung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit? Für diesen grünen New Deal ist diese Krise eine große Chance.

Was muss man sich darunter vorstellen?

Wir müssen etwa die Autoindustrie an die grüne Leine nehmen und staatliche Hilfsmaßnahmen an strikte Bedingungen knüpfen. Es ist nicht einzusehen, warum bestimmte Hersteller weiterhin Modelle bauen wollen ohne Rücksicht auf Verbrauch und CO2-Ausstoß, ganz so, als würde es den Klimawandel gar nicht geben. Dazu gehören auch Förderungen des öffentlichen Verkehrs.

Im Sozialbereich ist es ein Manko, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht spüren, was sie von der EU haben. Es ist ein Fehler, dass die EU nur in Wettbewerbs- und Wirtschaftsfragen klare Spielregeln kennt aber nicht im Sozialbereich. Warum gibt es nicht längst einen Sozialpakt, der die Möglichkeit eröffnet, über eine Sozialkarte auch Versicherungsleistungen in anderen EU-Ländern abzurufen, oder eine europäische Arbeitslosenversicherung? Das würde die immer wieder von den Menschen eingeforderte Mobilität erhöhen und Sicherheit schaffen.

Ganz Europa diskutiert über Sparmaßnahmen - woher soll das Geld kommen?

Etwa über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die hätte man schon längst beschließen können. In der letzten Woche ist es mir gelungen, im Nationalrat einen Fünf-Parteien-Antrag durchzubringen, wo sich die Regierung bereit erklärt, die FTT auf europäischer Ebene voranzutreiben. Bei einer Abgabenhöhe von nur 0,1 Prozent ließen sich dadurch EU-weit 240 Milliarden Euro lukrieren - das tut niemandem weh und würde einiges bringen. Und zur Frage Leistbarkeit des Sozialstaats: Diese Ausgaben sind auch Investitionen - allein wenn man die beiden letzten Kindergartenjahre ganztägig und gratis anbieten würde, könnten bei geschätzten Kosten von 150 Millionen Euro tausende Jobs geschaffen, Integrationsdefizite behoben und die ganztägige Erwerbsarbeit vor allem von Frauen erhöht werden.

Wie beurteilen Sie Ihre Chancen gegen Voggenhuber und Lichtenberger?

Abstimmungen bei den Grünen sind immer mit einem Unsicherheitsfaktor verbunden, ich rechne mir aber gute Chancen aus.

Manche sehen in Ihrer Kandidatur eine Strafaktion der Parteiführung gegen den oft unbequemen Kritiker Voggenhuber.

Sicher nicht, für Strafaktionen stehe ich nicht zur Verfügung. Ich kandidiere, weil ich überzeugt bin, spannende grüne Europapolitik machen zu können.

Können es sich die Grünen leisten, einen so profilierten Politiker wie Voggenhuber zu verlieren?

Das wird der Bundeskongress entscheiden, es gibt auch prominente Grüne, die ohne Mandat weiterhin grüne Politik machen.