Überschattet vom Justizstreit mit Polen, sucht EU-Gipfel Antworten auf steigende Energiepreise. Zähe Gespräche am Abend.
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Darf es ein bisschen weniger Markt sein? Mit steigenden Energiepreisen konfrontiert, machen sich die EU-Staaten Gedanken über Eingriffe in den wirtschaftlichen Wettbewerb. Diese wälzten auch die Staats- und Regierungschefs der EU, als sie am Donnerstag zu einem Gipfeltreffen in Brüssel zusammenkamen. Die Debatte darüber wurde am Abend nach fünf Stunden unterbrochen.
Eine gute Woche zuvor hatte die EU-Kommission einen "Werkzeugkasten" präsentiert, der den Mitgliedstaaten helfen soll, den rasant wachsenden Energiepreisen etwas entgegenzusetzen. Die Vorschläge reichen von Unterstützung für Haushalte und Unternehmen bis hin zu gemeinsamer Lagerung von Gasreserven und gemeinsamen Einkäufen.
Diese hatten einige Länder - unter anderem Spanien, Griechenland und Frankreich - gefordert. Doch andere haben ihre Bedenken, und dazu gehört Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel plädierte in Brüssel für "Besonnenheit". Ziel sollte nicht sein, den Markt "vollkommen auszuschalten". Schon zuvor hieß es aus Berlin, dass die Gruppe der Staaten, die Eingriffe oder Preiskontrollen wollen, eher klein sei. Auch der österreichische Bundeskanzler Alexander Schallenberg mahnte davor, vorschnell in die Energiemärkte einzugreifen.
Das Thema Energie spaltet die EU-Staaten gleich auf mehreren Ebenen. Da ist die Debatte um mögliche Markteingriffe und eine weitere um die Nutzung von Atomkraft, auf die beispielsweise Frankreich nicht verzichten will. Außerdem geht es um die Verknüpfung von Energie und Klimaschutz, für den sich die EU ambitionierte Ziele gesetzt hat.
Kein Einlenken in Warschau
Diese bezeichnete der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban auf dem Weg zum Gipfeltreffen als "Utopie" und "Fantasie". Er teilt nämlich keineswegs die Meinung einiger seiner Kollegen, dass der Anstieg der Preise für Strom und Gas ein Anreiz zur Beschleunigung der grünen Wende sein sollte.
Dieser steht auch Polen skeptische gegenüber, dessen Energieversorgung noch stark vom Kohleabbau abhängig ist. Premier Mateusz Morawiecki strich denn auch zwei Ursachen für die gestiegenen Energiepreise hervor: den Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten und russische "Erpressung", da der staatliche Konzern Gazprom die Lieferungen in die EU nach Gutdünken steuern könnte.
Morawieckis Position in der EU ist allerdings geschwächt. Denn die nationalkonservative Regierung in Warschau ließ den seit Jahren schwelenden Justizstreit mit der Union vor kurzem wieder eskalieren. Das polnische Verfassungstribunal hatte den Vorrang von EU-Recht vor nationalen Regelungen in bestimmten Fällen verneint - und damit einen Grundsatz der Gemeinschaft in Frage gestellt. Dass Warschau nicht so schnell einzulenken gedenkt, machte Morawiecki erst am Dienstag bei einem Auftritt vor dem EU-Parlament klar - in einer Rede, die sein ungarischer Kollege Orban am Donnerstag als "exzellent" einstufte. Sanktionen gegen Polen wären "lächerlich", fügte der Ungar hinzu.
Anders sehen dies vor allem westeuropäische Regierungschefs, die eine schärfere Reaktion auf das polnische Vorgehen fordern. Der Zwist überschattete denn auch den ersten Gipfeltag.
Migration über Weißrussland
Doch auch das Thema, das am heutigen Freitag auf der Agenda steht, ist nicht unumstritten: Migration. Seit langem ringen die EU-Staaten um eine gemeinsame Migrations- und Asylpolitik, doch bleiben Fortschritte großteils aus. Derzeit bereiten der EU die Entwicklungen an der weißrussischen Grenze zu Polen, Litauen und Lettland Sorgen. Die Union wirft Belarus "hybride Angriffe" vor, weil es Migranten in die EU schickt. Sanktionen gegen Minsk stehen im Raum. (czar)