Eine Mehrheit im EU-Parlament in Straßburg hat gestern neue einheitliche Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke (AKW) beschlossen. Ebenfalls im sogenannten "Nuklearpaket" enthalten ist die Entsorgung der Atomabfälle sowie die Anhebung der Euratom-Kredite von 4 auf 6 Mrd. Euro.
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Die AKW-Standards müssen nun in einer Richtlinie der Kommission festgeschrieben werden. Das EU-Parlament verlangt, dass die Kontrolle der Reaktoren von der EU wahrgenommen wird und nicht mehr den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Das führt zu einer gegenseitigen Kontrolle. Falls Mängel auftreten, kann der Reaktor per Gerichtsentscheid (EuGH) vom Netz genommen werden. Auch die Atommüllentsorgung und der Abbau von veralteten Anlagen soll künftig nach EU-Regeln erfolgen. So muss jeder Betreiber einen Fonds einrichten, der für diese Zwecke bereitsteht: Das Geld muss durch die Strompreise erwirtschaftet werden.
Dadurch erhofft sich ÖVP-EU-Abg. Paul Rübig, dass "endlich Kostenwahrheit auch beim Atomstrom gegeben ist". Auch müsse sichergestellt werden, dass die Fondsmittel nicht wie in der Vergangenheit missbraucht würden. So hätten beispielsweise französische AKW-Betreiber die Zinsen für feindliche Übernahmen unliebsamer Konkurrenten oder den Kauf von Netzgesellschaften genutzt. "Damit muss Schluss sein." Rübig freut sich jedenfalls über das Abstimmungsergebnis, sieht er sich doch als Initiator des Nuklearpaketes. "Erstmals gibt es für AKW eine EU-Regelung." Diese hätten die Regierungschefs Großbritanniens und Deutschlands, Tony Blair und Gerhard Schröder, unterbinden und die Kompetenzen bei den Staaten behalten wollen. Doch den beiden habe das Parlament einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Mit einem weinenden Auge sehen Rübig und seine VP-Kollegin Marilies Flemming die Aufstockung der Euratom-Kredite: "Dies ist eine unsinnige Fehlentscheidung, der die ÖVP nicht zugestimmt hat." Der Bericht wurde von der deutschen Grünen Hiltrud Breyer vorgelegt, die diesem aber nicht mehr zustimmen konnte, nachdem der Industrieausschuss die Finanzierung neuer und nicht mehr sanierungsfähiger Anlagen nicht ausgeschlossen hatte. Breyer wirft der Kommission vor, sich zum "Handlanger der Atomindustrie" zu machen und ein "skandalöses Atom-Wiederbelebungspaket" vorgelegt zu haben. Besorgt zeigt sich auch der österreichische Grüne Johannes Voggenhuber: "Der Richtlinienvorschlag ist so schwach, dass sogar der Neubau von AKWs ohne höchstes Sicherheitsniveau droht."
Kritik an der Parlamentsentscheidung gibt es von den EU-Abgeordneten der SPÖ, Grünen und FPÖ. "Was wegen der Überschriften gut klingt, gaukelt in Wahrheit Sicherheit nur vor," kritisiert SP-Mandatarin Karin Scheele. Die SPÖ habe versucht, eine strengere Linie durchzusetzen, konnte jedoch keine Mehrheit finden und stimmte daher dagegen.