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Grüne Wirtschaftskrise

Von Bernd Vasari

Politik

Jedes Unternehmen hat einen Businessplan. Die Grünen haben keinen. Das freut die Neos.


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Wien. Zwei Jahre haben die Grünen noch Zeit. Dann wird sich entscheiden, ob die Partei in Zukunft eine Rolle spielt. Der Stichtag für ihr Fortbestehen ist die Wien-Wahl im Jahr 2020. Ein steiniger Weg steht der Partei bevor. Sie muss die Wähler zurückholen, die ihr bei der Nationalratswahl im vergangenen Herbst in Scharen davongelaufen sind. Zwei Drittel der Wiener Stimmen hat sie verloren. Die meisten von ihnen gingen an die SPÖ. Die Wähler unterstützten die Genossen, um einen Kanzler Sebastian Kurz zu verhindern. Das Ergebnis: Die Grünen flogen aus dem Parlament, Kurz wurde trotzdem Kanzler. Die grün-roten Wechselwähler waren geschockt. Doch werden sie bei der Wien-Wahl wieder zur grünen Partei zurückkehren?

Gut drei Monate verstrichen, bis die Grünen mit ihren Sympathisanten wieder in Kontakt traten. Anfang Februar folgte das erste Lebenszeichen per E-Mail. "Wir haben uns lange nicht bei Dir gemeldet - doch jetzt hat sich der Schock gelegt", beginnt das Schreiben, das von Bundesobmann Werner Kogler und Bildungswerkstatt-Obmann Andreas Novy gezeichnet ist. "Wir machen weiter, 2018 steht ganz im Zeichen des Neubeginns."

Es endet mit einer Einladung zu einer offenen Diskussion. Sie findet am Samstag im Veranstaltungszentrum Catamaran nahe der Donaumarina statt. Hier soll der grüne Neuanfang starten, hier soll die Trendwende eingeläutet werden. Gute Ideen sind dringend notwendig. Denn in den Monaten der Funkstille zwischen grüner Partei und Sympathisanten hat sich ein ernst zu nehmender Konkurrent herauskristallisiert: die Neos.

Im Gegensatz zu den Grünen konnten sie sich erfolgreich von ihrer thematisch nächstliegenden Großpartei abgrenzen und schafften es in den Nationalrat. Damit sie auch weiterhin nicht von der türkisen ÖVP geschluckt werden, haben sie ihr Profil in gesellschaftlichen Fragen geschärft.

Neos setzenauf Menschenwürde

Es ist jener Bereich, in dem der Unterschied zur rechtskonservativen Partei am größten ist. Keine Möglichkeit wird ausgelassen, um das auch klarzumachen. Setzt ÖVP-Chef Sebastian Kurz auf Law & Order, fordern die Neos ein liberaleres Drogengesetz. Will Kurz die Mindestsicherung für Flüchtlinge senken, erklären sie, dass diese für Ausländer und Inländer gleich sein müsse. Auf Facebook sagt Neos-Chef Matthias Strolz, dass die Menschenwürde, egal ob bei Inländern oder Ausländern, nicht unterschritten werden dürfe und dass Flüchtling zu sein kein Verbrechen sei.

Es sind Sätze, die ein liberales, humanistisches Menschenbild unterstreichen. Sie könnten genauso von den Grünen stammen. Doch im Unterschied zu den Neos agieren die Grünen unter der Wahrnehmungsgrenze. Sind die Neos die neuen Grünen? Werden die grün-roten Wechselwähler gar den Grünen den Rücken zukehren und ihr Kreuz das nächste Mal bei den Neos machen?

Die nichtssagende Eigenbeschreibung als "postideologische" Zentrumspartei ließ bisher viele Wähler im Unklaren, wofür die pinke Partei eigentlich steht. Wahrgenommen wurde sie nur als neoliberal in Wirtschaftsfragen. Würden die Neos Wasser und Gesundheitseinrichtungen privatisieren? Für viele Grünsympathisanten war die Partei unwählbar. Doch das ändert sich nun. Die jahrelangen Klarstellungen der Parteispitze, dass die Neos keinen Ausverkauf, etwa von Wasser wollen, zeigen Wirkung. Auch Wirtschaftssprecher Markus Ornig betont: "Die Namensgebung ist ein Missverständnis. Neos hat nichts mit neoliberal zu tun." Eine Privatisierung der Daseinsvorsorge würde nicht infrage kommen. Dass die Partei ein Gegner von Arbeitszeitverkürzung, Frauenquoten und Vermögenssteuern ist, gerät in Vergessenheit.

Genauso unbekannt ist jedoch die wirtschaftliche Verortung der Grünen. Der linksalternative Lack von früher verblasst. Die grüne Zustimmung für den Luxuswohnturm des Investors Michael Tojner auf dem Heumarkt ließ die ideologischen Grenzen verschwimmen. Neben dem Heumarkt fiel die Partei zuletzt noch mit einer Initiative des Wiener Wirtschaftssprechers Peter Kraus auf. Er präsentierte den sogenannten Wien-Becher, einen Mehrweg-Becher für Kaffeetrinker. Zu wenig, um sich von den Neos abzugrenzen. Das immer wieder unterschiedliche Abstimmungsverhalten von Grüner Wirtschaft in der Wirtschaftskammer und den Grünen im Wiener Gemeinderat zu denselben Themen stiftet zusätzlich Verwirrung. Haben die Grünen ihre wirtschaftliche Position verloren?

"Wir haben ein tolles Wirtschaftspapier"

Bundesrätin Ewa Dziedzic verneint. "Wir haben ein tolles Wirtschaftspapier, in dem wir einen tiefgreifenden Strukturwandel fordern", sagt sie "Gegen Profitmaximierung und entfesselte Finanzmärkte mit zigtausenden Maßnahmen." Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: "Es ist vielleicht nicht bekannt."

Vor kurzem hat die Bundesrätin ein weiteres - "feministisches" - Wirtschaftspapier ausgearbeitet. Darin enthalten sind Punkte, die von der Partei noch nicht ausgesprochen wurden, erklärt sie. So sollen Unternehmen offenlegen, wie viel sie ihren Mitarbeitern bezahlen. Auch eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche wird in dem Papier gefordert. Dziedzic stimmt zu, dass der wirtschaftliche Standpunkt der Grünen besser kommuniziert werden müsste. "Wir präsentieren unser Wirtschaftsprogramm immer nur in Einzelteilen", räumt sie ein. "Es wäre aber notwendig, das Gesamtpaket zu zeigen."

Das sieht auch Hans Arsenovic so. Der Wiener Landessprecher der Grünen Wirtschaft prophezeit: "Das Thema Wirtschaft wird für die Grünen wichtiger werden. Die Kritik an Konzernen, die Gewinne verschieben, wird um einiges lauter werden." Geplant sind Kampagnen, Slogans, Guerilla-Marketing-Aktionen.

Doch so sehr die beiden einer Meinung sind, was das Auftreten der Grünen in Wirtschaftsfragen betrifft, so sehr zeigen sie, wie unterschiedlich die Positionen innerhalb der Partei sind. So fordert die Bundesrätin etwa eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden in der Woche, Arsenovic spricht sich jedoch dagegen aus. Ein Problem sieht er darin nicht. "Wir finden nicht immer idente Linien. Das ist aber nicht tragisch. Das ist einfach so. Das ist in jeder Partei so."

Ob das der Wähler auch so sieht, darf bezweifelt werden. Die Wien-Wahl in zwei Jahren wird die letzte Chance für die Grünen sein. Sollte es der Partei bis dahin nicht gelingen, sich von den Neos abzugrenzen und damit ihre Wähler zurückzuholen, wäre ihr Ende besiegelt.