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Grüne wollen Kanzlerin

Von Klaus Huhold

Politik

Annalena Baerbock wird Spitzenkandidatin der deutschen Grünen. Die 40-Jährige erhebt vor der Bundestagswahl den Kanzleranspruch - und will den Merkelschen Pragmatismus durch eine grüne Vision ersetzen.


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Als die 1980 geborene Annalena Bearbock ein Kind war, waren die deutschen Grünen noch eine Partei, deren Vertreter gerne in Jeans und Lederjacke in den Landesparlamenten auftauchten und dadurch bei bürgerlichen Vertretern zumindest Naserümpfen auslösten. Baerbock wuchs in dem alternativen Milieu auf, dem die Grünen entsprungen sind: Ihr Elternhaus in Niedersachsen sei "bisschen so ein Hippiehaushalt" gewesen, berichtete Baerbock einmal. Und so wurde sie schon als Kind zu Anti-Atomkraft- und Friedensdemonstrationen mitgenommen.

Mittlerweile sind die Grünen und ihre Themen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In Deutschland haben sie im Moment sogar derartigen Rückenwind, dass sie erstmals vor einer Bundestagswahl den Anspruch auf das Kanzleramt stellen. Und Kanzlerin der Bundesrepublik soll die einstige Jungdemonstrantin Annalena Baerbock werden. Diese bekräftigte am Montag, als sie sich der Öffentlichkeit als Kanzlerkandidatin für die Wahl im Herbst präsentierte, noch einmal das ambitiöse Vorhaben ihrer Partei: "Jetzt ist die Zeit, eine gute Regierung anzuführen", sagte die studierte Politologin und Völkerrechtlerin.

Eine streitlustige Partei ist plötzlich geeint

Baerbock ist seit mehr als drei Jahren Vorsitzende der Grünen. Dieses Amt teilt sich die 40-Jährige, die in ihrer Jugend Trampolinspringen als Leistungssport betrieb, mit dem 51-jährigen Robert Habeck. Die beiden hatten in den vergangenen Wochen gemeinsam beraten, wer Kanzlerkandidat werden soll. Baerbock betonte, dass sie beide sowohl sich selbst als auch dem anderen die Kandidatur zugetraut hätten. Warum die Wahl auf sie fiel, dazu ließ sich Baerbock bei einer Pressekonferenz am Montag wenig entlocken, sie sagte nur, dass dabei die "Frage der Emanzipation eine zentrale Rolle" gespielt habe.

Das steht ganz in grüner Tradition. Fast unüblich für diese auch intern oft streitlustige Partei ist aber, wie harmonisch die Kür von Baerbock bisher verlief und wohl auch noch verlaufen wird: Es gab so gut wie kein Murren von der Basis, dass diese Frage zunächst die Parteispitze unter sich klärte. Dass die Delegierten Baerbock beim Parteitag im Juni als Spitzenkandidatin bestätigen, gilt nur noch als Formalakt.

Auch den Wahlkampf wollen Baerbock und Habeck, der mit ihr Parteivorsitzender bleibt, gemeinsam an vorderster Front bestreiten. Hinter ihnen steht eine grüne Partei, die geschlossen scheint wie noch nie. Baerbock und Habeck, der sechs Jahre lang in Schleswig-Holstein Umweltminister war, wird hoch angerechnet, dass unter ihrem Vorsitz die einst legendären Flügelkämpfe zwischen Fundis und Realos nicht ausgebrochen sind. Auch das hat die Grünen in den Umfragen hochkatapultiert - die Zuspruchswerte liegen zwischen 20 und 23 Prozent -und zu Erfolgen in Landtagswahlen geführt. Dieser Erfolgslauf machte es wiederum leichter, die Einheit zu wahren.

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Diese Geschlossenheit unterscheidet die Grünen derzeit auch von der Union - in der der Streit um die Kanzlerkandidatur zwischen dem CDU-Vorsitzenden Armin Laschet und dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder tiefe Gräben aufgeworfen hat. Auch diese Uneinigkeit der Union, die in Umfragen auf 27 Prozent abgestürzt ist, hat dazu geführt, dass die Grünen an sie herangerückt sind. Gleichzeitig könnte die Aussicht auf eine grüne Kanzlerin noch einmal zu einem Mobilisierungseffekt bei konservativen Wählern führen.

Dass sich die Grünen noch vor die Union schieben, gilt aber eher als unwahrscheinlich. Doch das müssen sie vielleicht auch gar nicht. Eine Kanzlerschaft winkt auch, wenn entweder Grüne, SPD und Linke oder Grüne, SPD und FDP gemeinsam eine Regierung bilden können - und in so einer Konstellation wären die Grünen, Stand heute, die stärkste Partei.

Klimaschutz soll "für alle Bereiche der Maßstab" sein

Zunächst steht aber noch ein Wahlkampf bevor, in dem die Grünen mit ihren erhöhten Ansprüchen auch mit stärkerem Gegenwind werden rechnen müssen. Und ihre Gegner führen bereits ins Treffen, dass Baerbock, die einst den Landesverband von Brandenburg anführte und sich in der Europapolitik engagierte, weder auf Landes- noch auf Bundesebene über Regierungserfahrung verfügt. Baerbock, die die jüngste Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik wäre, entgegnete darauf bereits, dass sie all das mitbringe, was man für dieses Amt brauche, nämlich "Entschlossenheit, Durchsetzungskraft und einen klaren Kompass und Lernfähigkeit".

Generell stehe sie für eine Politik, die "Neues wagt" und nicht "auf Sichtweite" agiere. Damit grenzt sie sich nach 16 Jahren Merkel von deren Ära ab: Sie hält dem Merkelschen Pragmatismus eine grüne Vision entgegen. Zentrum dieser Vision ist der Klimaschutz, "die Aufgabe unserer Zeit". Dieser müsse "für alle Bereiche der Maßstab" werden.

Die klare Position beim Kampf gegen den Klimawandel hat den Grünen bei jungen Wählern viel Zuspruch eingebracht. Auch die schon in ihrer Kindheit politisierte Baerbock schlug den Bogen zu ihren eigenen Kindern. Eine ihre beiden Töchter sei mit sechs Monaten im Kinderwagen bei der Pariser Klimakonferenz dabei gewesen. Baerbock war bei der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens 35. Damals habe sie sich gedacht, wenn ihre Tochter so alt sei, "dann werden wir klimagerechten Wohlstand geschaffen haben müssen", sagte Baerbock bei ihrer ersten Rede als Kanzlerkandidatin.