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Grüne wollen nicht wieder Kellner sein

Von Martyna Czarnowska und Alexander Dworzak

Politik

Annalena Baerbock erwartet in Polen ein kühler Empfang. Daheim wird der Kurs der Außenpolitik diskutiert.


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Es sei eine "Trio-Reise", das wollte Annalena Baerbock betont wissen. Die neue deutsche Außenministerin war gerade mit dem Zug aus Paris nach Brüssel gekommen und von Journalisten nach ihrer nächsten Station, Warschau, gefragt worden. Die drei Metropolen waren das Ziel ihrer Antrittsreise, doch bildete dabei die polnische Hauptstadt wohl das schwierigste Terrain. Dort ist Baerbock am Freitag zu Gast.

Im Vordergrund der Tour stehe das "gemeinsame Kennenlernen", erklärte die grüne Ministerin. In Frankreich sprach sie mit ihrem Amtskollegen Jean-Yves Le Drian über mögliche Reaktionen Europas auf Menschenrechtsverletzungen in China, und in Brüssel standen bei Treffen mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sowie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auch der Ukraine-Konflikt und weitere außenpolitische Fragen auf der Agenda.

In Polen aber, wo Baerbock mit Außenminister Zbigniew Rau zusammenkommt, will die nationalkonservative Regierung rund um die Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) mit den Themen eigene Akzente setzen. Und dazu soll nicht unbedingt die Rechtsstaatlichkeit gehören, die seit Jahren ein Zankapfel zwischen Brüssel und Warschau ist. Vielmehr sind in Warschau vor kurzem wieder Reparationsforderungen gegenüber Berlin laut geworden.

Polen fordert Entschädigung

Denn für Polen sind die Entschädigungen für die Verwüstungen durch die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg keine erledigte Sache - anders als für Deutschland, das sich auf dementsprechende Verträge beruft. Warschau will nun die Ansprüche untermauern: Premier Mateusz Morawiecki hat die Einrichtung eines Instituts angekündigt, das die Erforschung der Kriegsschäden bündeln und mögliche Forderungen weiter verfolgen soll.

Ein anderes bilaterales Thema hat Morawiecki erst am Donnerstag erneut angemeldet: die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, gegen deren Inbetriebnahme sich Polen heftig stemmt, weil es Russland nicht noch mehr Einfluss in der Energie- und damit Geopolitik gewähren will. In diesen verfahrenen Streit könnte in Berlin durch die grüne Regierungsbeteiligung durchaus Bewegung kommen.

Denn Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel hatte die rund 1.200 Kilometer lange Röhre nach außen als rein wirtschaftliches Projekt verkauft - nicht nur zum Ärger Polens, sondern auch der baltischen Staaten, die ebenfalls Nachbarn Russlands sind. Baerbock hingegen wischt nun die "sicherheitspolitischen Fragen, derentwegen unsere Partner in Mittel- und Osteuropa so massiv gegen diese Pipeline sind", nicht vom Tisch. Sie kündigte vor Amtsantritt in einem Interview mit der Zeitung "taz" auch an, darüber "in den nächsten Monaten gemeinsam europäisch" zu diskutieren.

Die Begeisterung über Debatten um Nord Stream 2 ist aber beim Koalitionspartner SPD enden wollend, allen voran bei der einflussreichen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, in deren Bundesland Mecklenburg-Vorpommern die Röhre ihren Endpunkt hat. Der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder, mittlerweile Aufsichtsratsvorsitzender sowohl der Nord Stream AG als auch des russischen Ölkonzerns Rosneft, machte bereits in gewohnter "Basta"-Mentalität klar, dass Nord Stream 2 "ein genehmigtes Projekt ist, und ein solches Projekt muss Wirklichkeit werden, das ist ganz einfach". Sein Nach-Nachfolger im Kanzleramt, Olaf Scholz, stellte am ersten Tag seiner Amtszeit fest, viele Entscheidungen seien schon getroffen, "sonst wäre ja die Pipeline nicht fertiggestellt worden".

Ob eine etwaige russische Invasion in der Ukraine auch Konsequenzen auf Nord Stream 2 haben könnte, wollte Scholz nicht beantworten. Er verwies vielmehr auf die Ostpolitik der SPD-Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt. Man müsse auch ein Miteinander mit Regierungen finden, die ganz anders seien. Die Annäherung konnte damals aber nur gelingen, weil in der Sowjetunion die Tauwetterperiode eintrat. Signale der Entspannung müssen beide Seiten setzen, und ob das im Sinne von Russlands Präsident Wladimir Putin ist, wird nicht nur bei den Grünen angezweifelt.

Andere Größenverhältnisse

Die Öko-Partei findet sich gleich zu Beginn der Regierung im ersten Scharmützel mit der SPD wieder, das in der prinzipiellen Frage mündet: Wer gestaltet die deutsche Außenpolitik? Den Anfang machte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, indem er festhielt, Außenpolitik werde "insbesondere im Kanzleramt gesteuert". Das stimmt prinzipiell, immerhin verfügt der Regierungschef anders als in Österreich über eine Richtlinienkompetenz. Diese gilt aber für sämtliche Bereiche, und es ist schwer vorstellbar, dass sich Scholz etwa in landwirtschaftliche Debatten einmischt.

Beim grünen Außenpolitik-Experten Omid Nouripour schrillten sogleich die Alarmglocken. Er warnte seinen Koalitionspartner: Das Außenministerium "so herabzusetzen, ist die überkommene Koch-Kellner-Logik". So bezeichnete der mittlerweile in Russlands Sold stehende Schröder einst das Zusammenspiel in der rot-grünen Regierung. Damals waren die Größenverhältnisse ganz anders: Die SPD lag um 40 Prozent, die Grünen kamen bei Schröders Wiederwahl 2002 auf 8,6 Prozent. Bei der Bundestagswahl im September wählte nur rund jeder vierte Deutsche den Wahlsieger SPD, die Grünen erreichten rund 15 Prozent.

Die Öko-Partei gedenkt nun, ihre Vorstellungen robust durchzusetzen. Weitere außenpolitische Dispute scheinen daher unvermeidlich. Entscheidend dabei ist, ob die Parteien hinter den Kulissen diskutieren oder auf offener Bühne.