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Grüner Neubau

Von Simon Rosner

Politik

Nach ihrem Ausscheiden aus dem Nationalrat müssen sich die Grünen neu erfinden.


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Wien. Das kleine Parteilokal der Grünen in der Wiener Leopoldstadt. Auf Tischen liegen große, weiße Papierbögen, dazu Filzstifte. Die Bezirkspartei hat eingeladen, um ein paar Antworten auf zwei für die Grünen derzeit grundsätzliche Fragen zu erhalten: "Warum?" und "Was jetzt?"

Erstmals nach dem Einzug in den Nationalrat wurden die Grünen aus diesem hinausgewählt. Dass der Worst Case eintrat, hatte auch damit zu tun, dass eben der Worst Case bei vielen Sympathisanten nicht als echte Gefahr wahrgenommen wurde. Die Partei hatte das drohende Szenario auch bewusst nicht kommuniziert.

Ein knappes Erreichen der Vier-Prozent-Hürde (rund 10.000 Stimmen fehlten) hätte zwar die Konsequenz für die Grünen bedeutend gemildert, an der Tatsache eines massiven Wählerverlustes hätte es aber nichts geändert. Innerhalb von drei Jahren (EU-Wahl) ist aus dem besten Abschneiden bei einer Bundeswahl das schlechteste geworden; aus einer über die Parteigrenzen hinaus respektierten Oppositionspartei eine chaotisch wirkende Truppe, die von Gegnern wie Unterstützern kritisiert, teilweise sogar verhöhnt wird. Gewiss, auch die spezifische Themenlage spielt eine Rolle. 2013 ging es um Korruption und Polit-Skandale, diesmal um Migration. Und der Zeitgeist, der den Grünen viele Jahre gewogen war, hat sich gedreht. Doch das ist nicht alles.

An diesem Abend in der Leopoldstadt geht es um das Aufsammeln der Scherben und darum, sie irgendwie wieder zusammenzupicken. Am Ende der Veranstaltung sind die Papierbögen mit Ideen, Wünschen und Forderungen vollgeschrieben. "Ökologie ist Klassenkampf", "gegen Rechts", "mehr Grün", "besseres Konfliktmanagement", "Listenwahlkampf anders gestalten" und so weiter.

Auch andernorts in Wien und anderen Teilen Österreichs finden derartige Treffen, so nahe wie möglich an der Basis, statt. Auch per E-Mail beteiligen sich viele und schreiben den Grünen ihre Gedanken. "Ganz viele kritisch, aber positiv ist: Sie haben alle ein Anliegen", erzählt Werner Kogler, der nach der Wahl zum Bundessprecher ernannt wurde und den Neuaufbau orchestrieren soll. Seither sind fünf Wochen vergangen. "Erst habe ich kleine Pflänzchen wachsen gesehen, jetzt sehe ich Büsche und Bäume."

Problem der Zuschreibungen

Abgesehen von der Organisation, die komplett neu aufgestellt werden muss, sowie der finanziellen Sanierung müssen sich die Grünen auch inhaltlich und kommunikativ hinterfragen. Der analytische Blick zurück ist dabei wichtig, um die Entwicklung verstehen zu können: wie aus einer ursprünglich kleinen, heterogenen, aber fast monothematischen Graswurzel-Bewegung eine breit aufgestellte Ökopartei mit beachtlichen Wahlerfolgen wurde. Und wie aus dieser dann eine gefühlt moralisierende Verbotspartei wurde, von der sich die Wähler in Scharen verabschieden.

"Das sind alles Zuschreibungen", sagt Kogler. Und tatsächlich ist es unrichtig, dass die Grünen das Autofahren, das Schnitzel und Flugreisen verbieten und gleichzeitig alle Flüchtlinge der Welt in Österreich beherbergen wollen. "Es gibt mehrere Gründe, warum es nicht schlau ist, jeden Tag Schnitzel zu essen. Es gibt aber keinen, der den staatlichen Menüplan für alle fordert", sagt Kogler. Das Problem ist jedoch, dass es bei vielen irgendwie so oder so ähnlich ankommt. "Und natürlich ist es dann auch unser Fehler."

Grüne ließen es zu

Werner Kogler, 56, in Hartberg geboren, hat alle Phasen grünen Wirkens erlebt. Er war Anfang der
80er Gründungsmitglied der Alternativen Liste in der Steiermark, in den 90ern parlamentarischer Mitarbeiter, ab 1999 dann Abgeordneter zum Nationalrat. Beim Gespräch in einem Wiener Café erzählt er von früheren Wahlkämpfen, als den Grünen auch schon allerlei angedichtet wurde: Der angebliche Ruf nach "Hasch-Trafiken" (2002) oder für "Zwangsvegetarismus" (2006). "Das war vor Social Media, das hat man damals noch per Rundmails gestreut."

Es ist schon naheliegend, dass die Dynamik solcher Zuschreibungen durch Social Media eine andere geworden ist, dass sich diese heute schneller verfestigen. "Man hat das aber auch zugelassen", sagt der Politikberater Thomas Hofer. Das Narrativ der ,grünen Verbotspartei’ sei nicht neu, diesmal aber sehr dominant gewesen. "Und in der Flüchtlingsfrage waren sie ein Jahr kaum vorhanden, haben während des Präsidentschaftswahlkampfes praktisch nichts dazu gesagt."

Wer eine weiße Leinwand hinstellt, darf sich nicht wundern, wenn andere auf diese alles Mögliche projizieren, von "weltfremde Gutmenschen" bis "linke Islamfreunde". In Wahrheit lasen sich die Forderungen der Grünen im Wahlprogramm zu Asyl und Migration dann gar nicht so realitätsfern: bessere Aufteilung der Flüchtlinge in der EU, mehr Hilfe vor Ort, Resettlement-Programme sowie Botschaftsasyl. Das forderten andere Parteien auch oder war vor einigen Jahren Gesetz.

Ein eher internes Konfliktthema der vergangenen Jahre war die Kommunikation - nach innen, zur Basis, aber genauso jene nach außen. Die Professionalisierung, die einheitliche Bildsprache, war der Versuch, über die Kernwählerschaft hinaus zu strahlen. Und anfangs schien das auch zu funktionieren, wie die Wahlerfolge der Jahre 2013 und 2014 zeigten.

Kein konzises Gesamtbild

Die Plakate wurden aber immer auch kritisiert. Es war wohl eine Gratwanderung, die am Ende für die Grünen unglücklich ausging. Das Gesamtbild war nicht mehr stimmig. Das sachliche, ernste Auftreten von Eva Glawischnig auf der einen Seite, eher bemüht witzige Plakate, Postings und Internet-Memes auf der anderen. Erklärend und kompliziert in Ton und Gestik, verkürzt und bunt auf grünen Webseiten und Social-Media-Kanälen. Konzise ist anders.

"Der unbedingte Wille zu Veränderung war nicht mehr erkennbar", sagt auch Kogler. Und wenn, dann war diese Veränderung wohl nicht positiv bewertet. Weniger Fleisch, weniger Auto, weniger Konsum. Und schon sind wir wieder bei der Verbotspartei. Der Kampf gegen den Klimawandel greift eben tief in Lebensgewohnheiten ein. Oder?

"Das so hinzudrehen, dass jede Veränderung nur Trübsal und Verzicht bedeutet, ist falsch. Man braucht ein paar Prozent mehr Strom, um einen Großteil der Autoflotte umzustellen. Das muss man problemlos mit erneuerbarer Energie hinbringen", sagt Kogler. "Beim Thema Umwelt müssen wir wieder radikaler werden und auch wieder zurück zum klassischen Natur- und Tierschutz kommen." Vor allem die gut organisierte Tierschutzszene hat sich teilweise von den Grünen verabschiedet. "Da haben wir etwas verabsäumt", sagt Kogler.

Innere Widersprüche

Dieses Thema künftig anders zu akzentuieren, dürfte nicht die schwerste Übung beim Neuaufbau sein. Schon eher die Auseinandersetzung mit inneren Widersprüchen und einem offenkundigen Ost-West-Gefälle. Mit der ÖVP zu koalieren wie in Vorarlberg, Tirol und Salzburg wäre für viele Grüne in Wien nahezu undenkbar. "Nur links geht sich aber nicht aus", sagt Kogler.

Links ist in diesem Zusammenhang vor allem antikapitalistisch gemeint. Es war kein Zufall, dass Teile der Jungen Grünen mit ihrer Chefin Flora Petrik nach ihrem Parteiausschluss eine gemeinsame Plattform mit der KPÖ bildeten. Die bei den Grünen verbliebenen Jungen formierten sich vor einer Woche in Wien zu einer neuen Jugendorganisation, der GAJ. Sprecher sind Philipp Eikenberg und Marie Filippovits.

Neue Jugendorganisation GAJ

Betont links ist die neue Jugend weiterhin. "Die Grünen werden versuchen müssen, ihr Kernthema Ökologie enger mit linker Sozialpolitik zusammenzudenken. Das haben sie bisher nicht ausreichend getan", sagt Filippovits. "Wir werden die Klimakatastrophe in diesem System nicht verhindern", ergänzt er. Unter den bestehenden Produktionsverhältnissen würde am Ende die Verantwortung auf jeden Einzelnen abgeschoben und entpolitisiert. "Das ist momentan ein viel zu liberaler, moralisch aufgeladener Ansatz", sagt Eikenberg. Und offenbar keiner, dem die Grünalternative Jugend zutraut, die Klimaerwärmung zu bremsen.

In der Theorie könnten sich die Grünen damit dieses Verbotspartei-Dilemma ersparen, also Klimaschutz propagieren, aber ohne dafür Einzelne in die Pflicht nehmen zu müssen. Zumal sich die Grünen an diesem ethischen Imperativ auch selbst nicht immer halten, ja auch nicht halten können - was von den Grünen aber bis zu einem gewissen Grad verlangt wird, von Unterstützern und Gegnern. Als die Abgeordnete Sigi Maurer etwa ein Foto einer Leberkässemmel postete, bot das gleich Anlass für einen kleinen Skandal.

Das System zu ändern, wie es der GAJ vorschwebt, wird wohl Theorie bleiben. Die Grünen werden nicht drum herumkommen, in ihrer Kommunikation mehr darauf Bedacht zu nehmen, nicht ständig mit den Bedürfnissen der Menschen in Konflikt zu geraten. Die deutschen Grünen haben dieses Problem jedenfalls besser gelöst. "Auch der durchaus typische Grüne isst ja eine Leberkässemmel. Nicht jeden Tag, aber immer wieder ", sagt Kogler.