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Sachthemen sollten | Stadtchef Wowereit herausfordern. | Der Bürgermeister lächelt sich aber erfolgreich durch Wahlkampf.
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Berlin. "Renate kämpft", lautet ein Slogan auf den Wahlplakaten der Berliner Grünen. Und Renate Künast kann man großen Einsatz wahrlich nicht absprechen. Unermüdlich tourt die grüne Spitzenkandidatin vor der Berlin-Wahl am 18. September durch die Stadt an der Spree, besucht hier einen Gemüsemarkt, trifft sich dort mit Wirtschaftstreibenden.
Doch immer wieder verfolgt die 55-Jährige eine Aussage, die sie vor fast einem Jahr getätigt hat. Im Herbst 2010 machte die grüne Spitzenpolitikerin eine Kampfansage an den amtierenden Stadtchef Klaus Wowereit von der SPD: Sie wolle Bürgermeisterin der Hauptstadt werden, verkündete die Arbeitertochter aus dem Ruhrgebiet. Doch kurz vor dem Votum gibt das aktuelle ZDF-Politbarometer der SPD 32 Prozent der Stimmen bei der Wahl des Berliner Senats, den Grünen aber lediglich 19,5 Prozent.
Damals, im Herbst 2010 und in den Monaten danach, sprach noch vieles dafür, dass Künast ihr ambitioniertes Ziel erreichen könnte. Die Grünen lagen in Berlin in Umfragen vor der SPD, und dann brach mit der Katastrophe in Fukushima auch noch die Atomdebatte über Deutschland herein. Im Frühling 2010 wurde Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg erster grüner Ministerpräsident in Deutschland. Künast hatte Rückenwind, um ihren Traum von der Eroberung Berlins zu verwirklichen.
Die grüne Offensive ist letztlich aber an Wowereit abgeprallt. Der 57-Jährige spielt die Rolle des verständnisvollen Stadtvaters, lächelt sich durch den Wahlkampf und hat bei Auftritten oft einen Scherz parat. Das SPD-Konzept, den Wahlkampf ganz auf die Person von Wowereit zuzuschneiden, ist anscheinend aufgegangen. Da können dessen Kritiker noch so laut murren, dass bei der Charmeoffensive Inhalte zu kurz kommen würden.
Unpopuläre Forderung
Künast wollte Wowereit gerade mit Sachthemen herausfordern und nicht auf Emotionen setzen. Sie verwies auf die unter Wowereit gestiegene Stadtverschuldung oder auf die mehr als 13 Prozent Arbeitslosen, sagte, dass Berlin aufholen müsse. Doch in vielen Köpfen blieb offenbar vor allem die unpopuläre Forderung nach mehr Tempo-30-Zonen auf Hauptstraßen hängen.
Auch im TV-Duell diese Woche zwischen Künast und Wowereit sahen die meisten Kommentatoren den Bürgermeister als Sieger. Künast verkündete während der Debatte im Fernsehsender RBB, dass sie eine Koalition mit der CDU ausschließe. Dies hätte noch eine Hintertür fürs Bürgermeisteramt sein können, aber auch nur, wenn beide Parteien ihre Umfrageergebnisse übertreffen.
Künast scheint sich damit abgefunden zu haben, dass die Grünen in einer künftigen Regierung höchstens den Juniorpartner stellen können. Und sie forderte Wowereit zu einem Bekenntnis auf: "Sie können sich jetzt einmal dazu äußern, ob Sie Rot-Grün machen oder Rot-Schwarz." Doch Wowereit ließ die Grüne abblitzen: Koalieren werde die SPD mit der Partei, mit der es die meisten Übereinstimmungen gebe.
Derzeit regiert die SPD mit den Linken. Diese halten bei elf Prozent, eine rot-rote Koalition würde sich so nicht ausgehen. Die CDU kommt laut ZDF-Politbarometer auf 21 Prozent. Die FDP würde mit drei Prozent den Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus verpassen, dafür wäre dort mit 5,5 Prozent Zustimmung die Piraten-Partei vertreten. Die Grünen würden mit ihren 19,5 Prozent zwar sechs Prozent gegenüber der letzten Wahl 2006 dazugewinnen, wären aufgrund der selbstgesteckten Ziele aber trotzdem Verlierer.