Der Start der Grünen in die Bundesregierung war schlecht beleumundet. Zuletzt konnte die Ökopartei zumindest symbolisch an Profil gewinnen - auch inhaltlich? Eine Analyse.
Es war schon ein denkwürdiges Timing. Da kommt man erstmals in der 34-jährigen Parteigeschichte in die herbeigesehnte Regierungsbeteiligung im Bund; und kaum angekommen in den Ministerämtern sieht man sich unversehens mit der "größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" konfrontiert, wie Politiker vom Kanzler abwärts nicht müde wurden zu betonen. Die Corona-Maßnahmen bündelten über viele Wochen alle Ressourcen. Für die Projekte und Ankündigungen des gemeinsamen Regierungsprogramms blieb da nicht mehr viel Raum. Sie lasen sich plötzlich eher wie ein Fundstück aus vergessenen Zeiten.
Aber war das für die Grünen ein Nachteil? Man habe sich über den Tisch ziehen lassen; das gemeinsame Regierungsprogramm sei ein türkis getränktes Druckwerk mit vereinzelten grünen Farbklecksen, war der allgemeine Tenor zum Koalitionsstart. Und nicht zuletzt bei grünen Wählern machte sich schwere Enttäuschung über die Performance ihrer Partei breit, noch bevor deren Regierungsarbeit überhaupt begonnen hatte. Das öffentliche Bild, die "Erzählung" der Koalition, prägten indes die in Regierungsagenden wie -kommunikation so routinierten Türkisen. Auch in den penibel getakteten Pressekonferenzen, die in der Corona-Intensivphase gefühlt dreimal täglich über den Bildschirm flimmerten.
"Gut für die Partei, nicht für die Koalition"
Zuletzt konnten die Grünen aber einige, wenigstens symbolische, Erfolge für sich verbuchen. Gesundheitsminister Rudolf Anschober, dem in der Corona-Krise eine gute Performance attestiert wurde, lag im regelmäßig erhobenen Politiker-Vertrauensindex kürzlich erstmals seit Regierungsantritt gleichauf mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf Platz zwei - hinter Bundespräsident und Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen. "Dass Anschober so beliebt ist, ist gut für die Partei, aber womöglich nicht für die Koalition", mutmaßt eine einst hochrangige Grüne gegenüber der "Wiener Zeitung". Aufgrund des Kanzler-Ehrgeizes auch bei Umfrageergebnissen müsste eine Meldung wie diese schließlich nicht zwingend zu türkis-grüner Stabilität beitragen.
Inhaltlich konnte der auch für Tierschutz zuständige Gesundheitsminister kürzlich mit dem "Tiertransporte-Gipfel" einen kleinen Erfolg vorweisen. Von konkreten Ergebnissen oder gar handfesten Maßnahmen war nach dem Treffen mit Tierschützern, Landesräten, Behörden und Vertretern der Landwirtschaft zwar keine Spur. Der Tenor der Beteiligten lautete aber recht einhellig: gute Gespräche, konstruktive Atmosphäre. Und nach außen kommunizieren konnte man die frohe Botschaft, dass sich alle Anwesenden inklusive Branchenvertretern und Landwirtschaftskammer darüber einig waren, dass es mit dem Karren junger Kälber quer durch Europa so nicht mehr weitergehen könne. Ein "Gipfeltreffen" beim Minister, der Stakeholder mit konträren Interessen gegen das Tierleid vereint - jedenfalls ein Kommunikationserfolg puncto Deutungshoheit über grüne Kernthemen.
Der Rest der grünen Ministerinnenriege - mit Ausnahme von Vizekanzler Werner Kogler und Anschober ist die grüne Regierung weiblich - blieb mit ihren Portfolios pandemiebedingt im Hintergrund: Weder Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (Leonore Gewessler), noch Justizagenden (Alma Zadic) lagen seit dem Corona-Lockdown im Zentrum des Interesses. Dabei wurden gerade die beiden Ministerinnen als größte grüne Hoffnungsträgerinnen gehandelt: die aufstrebende Zadic hatte als Anwältin schon Einblick in die Justiz - wenn auch nicht allzu lange. Die erfahrene Gewessler startete als vormalige Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000 bereits bestens vernetzt in ihren Fachbereich und ist nun verantwortlich für eine Art "Superministerium" mit breiten Gestaltungsmöglichkeiten. Die Corona-Pandemie verbannte beide Ministerinnen in die Zuschauerrolle. Zuletzt gelangen ihnen aber mindestens Achtungserfolge.
1-2-3-Ticket gegen AUA-Rettung
"Ein gewisser Wendepunkt kam mit dem Rücktritt von Ulrike Lunacek", sagt Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle zur "Wiener Zeitung". Die grüne Staatssekretärin für Kunst und Kultur hatte Mitte Mai nach massiver Branchen-Kritik an ihrem Umgang mit der Corona-Krise nach nur vier Monaten im Amt den Hut genommen. Ihr Rücktritt habe "Schockwellen" bei den Grünen ausgelöst, sagt die Politologin. In der zeitlichen Abfolge sei auffällig gewesen, dass Verkehrsministerin Gewessler nur eine Woche nach Lunaceks Rücktritt den Start des 1-2-3-Tickets für 2021 öffentlich kommuniziert habe, sagt die Politologin. Das Ticket, das die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu geringen Preisen ermöglichen soll, ist eines der grünen Prestigeprojekte.
Zeitgleich mit der AUA-Rettung verkündete die grüne Ministerin dann auch die fixierte Finanzierung von 240 Millionen Euro für das neue Öffi-Ticket. Das fast eine halbe Milliarde schwere staatliche Rettungspaket für die Fluglinie sei für die Grünen kommunikatorisch unangenehm gewesen, meint Stainer-Hämmerle. Mit dem 1-2-3-Ticket habe die Partei aber eines ihrer Kernthemen einfach mit aufs Tapet gebracht - und so doch auch einen "Systemwandel" vermittelt: "Die Grünen haben in dieser Situation gelernt, mehr auf sich selbst zu schauen. Und die ÖVP hat das erstmals auch zugelassen." Beim Transparenzpaket - ebenfalls im thematischen Kernbereich der Grünen - sei zudem eine Einigung mit dem Koalitionspartner absehbar, was man für sich als Erfolg verbuchen könne.
"Neue Härte"
"Wir haben uns in den letzten Monaten schon auch eine gewisse Härte zugelegt, die man bei den Grünen früher nicht wollte", sagt ein grüner Abgeordneter zur "Wiener Zeitung". So habe man von der Einmalzahlung für Arbeitslose bis zum EU-Budget im Hintergrund deutlich mehr Einfluss auf Regierungsentscheidungen ausgeübt, als öffentlich ersichtlich. Aus dem Ressort Gewesslers sei nach dem 1-2-3-Ticket auch bald Konkretes für den Energiesektor zu erwarten. Dass viele Regierungsbeschlüsse auf einem inhaltlichen Abtausch zwischen den Koalitionspartnern nach dem Motto Geben und Nehmen beruhen, scheinen die Grünen jedenfalls gerade zu lernen.
Bereits in trockenen Tüchern sind indes zwei Entscheidungen von Justizministerin Zadic. Sie fanden zwar keine überbordende öffentliche Beachtung, wurden aber gerade deshalb als kleine Coups gewertet. Zunächst beschnitt Zadic den Einfluss des umstrittenen Strafrecht-Sektionschefs Christian Pilnacek mit einem geschickten Manöver: Sie teilte die "Supersektion" des mächtigen Spitzenbeamten in zwei Sektionen und schrieb die Leitung neu aus. Eine Entmachtung Pilnaceks ohne offene Brüskierung des Koalitionspartners, zu dem Pilnacek stets gute Beziehungen pflegte.
Eine ähnliche Taktik lag augenscheinlich der Entscheidung der Justizministerin im Asylwesen zugrunde. Türkis-Blau hatte die Rechtsberatung für Asylwerber in die neu geschaffene und im Einflussbereich des Innenministeriums stehende Bundes-Betreuungsagentur (BBU) eingegliedert. NGOs kritisierten das massiv als das Ende unabhängiger Rechtsberatung. Um Weisungsfreiheit sicherzustellen, wie Zadic sagte, schuf sie für die Rechtsberatung eine eigene Abteilung innerhalb der BBU. Zu deren Leiter machte sie mit Stephan Klammer einen Experten der Diakonie mit langjähriger NGO-Erfahrung in der Materie.
Zwischen zwei Stühlen
"Das war eigentlich ein genialer Schachzug", sagt Politologin Stainer-Hämmerle. Denn Zadic habe dadurch inhaltliche Entscheidungen im Sinne der Grünen getroffen, ohne den Koalitionspartner vor den Kopf zu stoßen. Der Nachteil dieser Linie gilt allerdings nicht nur für die Justizministerin, sondern auch für ihre Partei: Man fällt öffentlich kaum auf - auch nicht dem Wähler.
Eben das könnte auch in Hinblick auf die Wien-Wahl noch zum grünen Problem werden. Denn in der Auseinandersetzung Bund vs. Wien - respektive ÖVP vs. SPÖ - sitzen die Grünen zwischen den Stühlen, weil jeweils als Juniorpartner in der Regierung. Stainer-Hämmerle erwartet, dass aus diesem Spagat eine Beißhemmung entstehen könnte - oder gar Lähmungserscheinungen. Taktische Zurückhaltung habe der Partei aber schon einmal massiv geschadet: "Als Van der Bellen als Präsidentschaftskandidat durch die Lande zog, traten die Grünen sehr schaumgebremst auf", sagt die Politikwissenschaftlerin. "Kurz darauf flogen sie erstmals nach drei Jahrzehnten aus dem Parlament."