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Präsident Obama reagiert empört auf das Urteil. | Direktzuwendungen an Kandidaten bleiben verboten. | Boston. Wahlkämpfe werden in den USA künftig noch mehr Millionen verschlingen. Denn ab jetzt können sowohl Wirtschaftsunternehmen wie Gewerkschaften bei Wahlen finanziell unbegrenzt Werbung für die ihnen genehme Partei machen. Das hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten entschieden und damit eine seit 63 Jahren bestehende Beschränkung aufgehoben.
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Präsident Barack Obama von den Demokraten reagierte empört auf das Urteil, das mit der Mehrheit der fünf konservativen gegen die vier linksliberalen Obersten Richter zustande kam. "Der Supreme Court hat heute grünes Licht für einen neuen Ansturm von Lobby-Geldern auf unsere Politik gegeben", sagte Obama. Dies sei ein Sieg für große Konzerne, die Ölindustrie, Wall Street, Versicherungen und deren einflussreiche Interessenvertretungen.
Aber auch Republikaner sehen das Urteil kritisch: "Das wird den Trend noch verstärken, dass Gruppen von außen die Wahlkampagnen dominieren", monierte der republikanische Anwalt und Lobbyist Ben Ginsberg. "Die Kandidaten verlieren damit die Kontrolle über ihre eigene Botschaft. Einige von denen verlieren dabei sogar ihre ganze Persönlichkeit."
Neuregelung gilt schon bei Midterm-Wahlen
Das Urteil des Obersten Gerichtes wird sich schon bei den kommenden "Midterm elections", den Zwischenwahlen zu Senat und Abgeordnetenhaus im November, auswirken. Schon bisher wurde eine heiße Wahlschlacht erwartet. Denn nach den überraschenden Siegen bei den Gouverneurswahlen in New Jersey und Virginia und zu Wochenbeginn dem Verlust des Traditionssitzes von Ted Kennedy an den Republikaner Scott Brown in Massachusetts fühlen die Republikaner wieder Rückenwind.
Sie erhalten derzeit viel Unterstützung von einer konservativen Bewegung, dem "Tea Party movement", die sich gegen zu viel Regierung und zu hohe Steuern einsetzt. Und nun kommen noch die vielen Millionen Dollars der Unternehmen hinzu, die traditionell die Republikaner unterstützen, während die Gewerkschaften ihre Dollars zu den Demokraten lenken.
Die knappste denkbare Entscheidung 5:4 machte die Trennlinie im Obersten Gericht deutlich. Alle fünf von republikanischen Präsidenten ernannten konservativen Richter stimmten für die Aufhebung des Finanzierungsverbots. Alle vier linksliberalen Richter stimmten dagegen.
Die Richter-Mehrheit argumentierte, dass über lange Jahre hinweg das Recht auf Meinungs- und Redefreiheit von Unternehmen und Gewerkschaften eingeschränkt war. Die durften zwar über die sogenannten "Aktionskomitees" Spenden an die einzelnen Kandidaten weiterleiten. Diese aber mussten von Eigentümern, leitenden Angestellten oder Funktionären kommen. Jetzt kann jede Firma Wahlwerbung direkt aus der eigenen Firmenkasse oder dem Kapitalstock finanzieren und zwar in unbegrenzter Höhe. Nur direkte Zuwendungen an Kandidaten bleiben weiterhin verboten. Einzige Auflage des Gerichts: Die Wahlwerbung muss unmissverständlich deutlich machen, von wem sie bezahlt worden ist.
"Wenn Regierungen versuchen (...) festzulegen, wo eine Person seine oder ihre Information bekommt oder welche nicht-vertrauenswürdige Quelle man nicht hören darf, dann übt sie Zensur aus", schreibt der Oberste Richter Anthony Kennedy zur Begründung der Mehrheitsentscheidung. "Wirtschaftsunternehmen können wertvolle Erfahrungen haben, die sie zu den am besten Geeigneten machen, auf Fehler oder Verdrehungen in der Debatte aufmerksam zu machen."
Dagegen formulierte der linksliberale Oberste Richter John Paul Stevens die Minderheitsmeinung: "Das Urteil des Gerichts droht die Integrität der gewählten Institutionen zu unterminieren." Wichtig sei bei der Wahl für ein öffentliches Amt, zwischen Personen und Verbänden zu unterscheiden. "Auch wenn sie einen enormen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten, so sind Unternehmen doch kein Teil von ihr. Sie können nicht wählen oder gewählt werden."
Auslöser für das Verfahren, bei dem es im Grund um den ersten Verfassungszusatz zur Redefreiheit ging, war ein Film über Hillary Clinton, der im Wahlkampf 2008 von der konservativen Gruppierung "Citizens United" gedreht worden war. Ein Bundesrichter hatte die Aufführung als verbotene Wahlwerbung untersagt. Das Oberste Gericht nahm diesen Fall zum Anlass, generell über Redefreiheit und deren Finanzierung zu urteilen.