Die anstehende kontrollierte Cannabis-Abgabe in Deutschland führt auch in Österreich zu einer öffentlichen Diskussion über die Vor- und Nachteile einer überarbeiteten Regulierung.
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Seit 1963 ist Cannabis in Österreich verboten, seit 1997 fällt die Droge in Österreich unter das Suchtmittelgesetz. Cannabis, wie Hanf meist genannt wird, wird seit Jahrtausenden genutzt, nicht nur als Rauschmittel, sondern auch als Rohstoff, etwa zur Textilherstellung, oder als Arzneimittel. Grundsätzlich wird im Sprachgebrauch zwischen Marihuana (den getrockneten Blättern, Blüten und Stängeln) und Haschisch (dem Harz der Blütenstände, vermischt mit Teilen der Blüten und Blätter) unterschieden. Die Hanfpflanze enthält rund 420 Inhaltsstoffe, darunter 60 Cannabinoide. Ein zentraler Inhaltsstoff der Cannabispflanze ist Cannabidiol (CBD), das aber nicht berauschend wirkt. Es kommt heute in der Medizin zum Einsatz, etwa bei Schmerzen, Schlaflosigkeit, Angstzuständen und Depressionen. Die Wirksamkeit ist jedoch nicht ausreichend bestätigt.
Was beim Cannabiskonsum den Rauschzustand auslöst, ist der psychoaktive Stoff Tetrahydrocannabinol (THC). In Österreich liegt die gesetzliche Grenze des THC-Gehalts (etwa bei CBD-Produkten) bei 0,3 Prozent. Im menschlichen Nervensystem befinden sich Cannabinoid-Rezeptoren, an denen die Wirkstoffe aus der Cannabispflanze andocken können. Durch das THC können alle Funktionen betroffen sein, die vom Cannabinoid-System gesteuert werden, etwa Informationsverarbeitung, Motorik oder das Gedächtnis. THC beeinflusst das zentrale Nervensystem. In kleinen Dosen kann es beruhigend wirken, Euphorie, Angstverlust oder Schläfrigkeit auslösen, Übelkeit und Brechreiz unterdrücken.
Ein weiterer Stoff, der in Hanf vorkommt, ist das noch nicht so bekannte HHC (Hexahydrocannabinol). Zwar wurde es bereits vor über 80 Jahren entdeckt, erlangte seitdem aber nur wenig Aufmerksamkeit, da es natürlicherweise nur in sehr geringen Mengen in Hanf enthalten ist und daher teils synthetisch hergestellt werden muss. Aktuell wird es jedoch als "legales High" vermarktet, was besonders Jugendliche anzieht. Da HHC genauso psychoaktiv ist wie THC, wurde es im März in die Verordnung über Neue Psychoaktive Substanzen (NPS) aufgenommen. Die Herstellung und der Handel mit synthetischem HHC sind somit verboten.
Zeitenwende in Deutschland
Die oft als "Legalisierung" bezeichneten aktuellen Bemühungen Deutschlands entsprechen genau genommen einer Entkriminalisierung. Bisher strafrechtlich relevante Handlungen im Zusammenhang mit Cannabis sollen künftig nur noch verwaltungsrechtlich verfolgt werden. Im April 2023 wurden entsprechende Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgestellt. Die Gesetzgebung soll zeitnah starten, angestrebt wird ein "Zwei-Säulen-Model". Die erste Säule bilden dabei nicht-gewinnorientierte Vereine, die gemeinschaftlich Cannabis zu Genusszwecken anbauen, aber nur an Mitglieder für den Eigenkonsum verkaufen dürfen. Das Mindestalter für eine Vereinsmitgliedschaft ist 18 Jahre. Die Vereine, die auch Clubs genannt werden, müssen Jugendschutz-, Sucht- und Präventionsbeauftragte benennen und dürfen keine Werbung machen. Eine Mitgliedschaft in mehreren Vereinen ist verboten, in den Vereinsräumen darf nicht konsumiert werden.
Die zweite Säule besteht aus "Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten". Fünf Jahre lang dürfen teilnehmende Unternehmen in lizenzierten Fachgeschäften Cannabis an Erwachsene verkaufen. Das Modell wird wissenschaftlich begleitet und erstreckt sich auf bestimmte Regionen in mehreren Bundesländern. Die Erkenntnisse sollen auch der EU-Kommission zur Verfügung gestellt werden.
Für die Konsumierenden ändert sich, dass künftig ab einem Alter von 18 Jahren Kauf und Besitz von maximal 25 Gramm Cannabis straffrei sind. Auch der Eigenanbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen soll erlaubt werden. Frühere Verurteilungen wegen Besitzes oder Eigenanbaus in diesem Rahmen können nach der Gesetzesänderung auf Antrag aus dem Bundeszentralregister gelöscht werden. Um cannabisbedingte Gehirnschädigungen zu verhindern, wird aktuell noch geprüft, ob junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren nur Produkte mit einem reduzierten THC-Gehalt (höchstens zehn Prozent) kaufen dürfen. In jedem Fall ist für sie ein monatliche Abgabegrenze von 30 Gramm angedacht.
Pro und Contra
Für den deutschen Staat bringt ein offizieller Vertrieb von Cannabis vor allem eins: Steuereinnahmen in Höhe von 4,7 Milliarden Euro jährlich. Laut Gesetzesentwurf soll einerseits die Umsatzsteuer greifen und andererseits eine eigene "Cannabissteuer" eingeführt werden, deren Höhe allerdings noch nicht feststeht. Aktuell heißt es dazu nur, dass sich der Endpreis für Konsumierende nicht dramatisch erhöhen sollte, um diese nicht wieder an den Schwarzmarkt zu verlieren.
Obwohl Deutschland mit den oben genannten Maßnahmen eine ziemliche Vorreiterposition in Europa einnimmt, ist man sich innerpolitisch nicht einig. So lehnten Bayern oder Nordrhein-Westfalen kürzlich ab, eine "Modellregion" für kommerzielle Lieferketten zu werden. Ein von der bayerischen CSU in Auftrag gegebenes Gutachten von Ende Mai zeigt Kollisionen des neuen Gesetzesentwurfs mit dem EU-Recht auf, welches den unerlaubten Handel und die Ausfuhr von Sucht- und Psychodrogenstoffen aller Art unter Strafandrohung verbietet. Auch ein vertragswidriger Verstoß gegen die UN-Übereinkommen zur Drogenbekämpfung liege mit der neuen Regelung vor.
Verbot in Österreich
In Österreich heizen die Entwicklungen im Nachbarland ebenfalls Diskussionen an. Aktuell zählt Cannabis im österreichischen Suchtmittelgesetz zu den verbotenen Substanzen und steht somit gesetzlich auf einer Stufe mit Morphin, Kokain, Amphetamin und anderen Drogen. Weder der Anbau noch der Handel oder die Weitergabe sind erlaubt. Allerdings gibt es hier einige rechtliche Spitzfindigkeiten, so ist etwa der Besitz einer Pflanze für sich genommen nicht strafbar. Erst, wenn man die THC-haltigen Blüten und Blätter vom Rest der (weiblichen) Pflanze trennt, gilt dies als Suchtgiftbesitz. Der Konsum von Cannabis an sich ist ebenfalls nicht gesetzeswidrig, allerdings wertet der Gesetzgeber die Übernahme eines Joints als Besitz, und dieser ist strafbar. Es gibt entgegen der landläufigen Meinung auch keine legale Menge für den Eigengebrauch. Diese Feinheiten in der Gesetzgebung sind – vor allem für junge Menschen – sehr verwirrend, hinzu kommen noch die oben genannten als "legal high" vermarkteten HHC-Produkte.
Gesetzeslage erschwert Jugendschutz
Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien sowie Geschäftsführer der Sucht- und Drogenkoordination Wien (SDW), kennt die Problematik. Die SDW ist seit 2006 mit der Umsetzung der strategischen und operativen Ziele der Wiener Sucht- und Drogenpolitik und der damit verbundenen Mittelvergabe betraut. "Die derzeitigen Regelungen für Cannabis und dessen Produkte sind sehr unübersichtlich und missverständlich. Beispielsweise führen die aktuellen Richtlinien zu CBD bei allen Involvierten (Anbietende, Exekutive, Sozialarbeitende sowie Mitarbeitende der Suchtprävention und -behandlung, Betroffene und Angehörige) zu Verunsicherung. Durch eine klare Regulierung und die damit einhergehende gesellschaftliche Diskussion können Klarheit und Bewusstsein für den gesetzeskonformen Umgang mit Cannabis geschaffen werden," so Lochner zum "Wiener Journal".
Zweierlei Maß
Immer öfter werden auch die großen Unterschiede bei der öffentlichen Wahrnehmung von Alkohol, Tabak und Cannabis kritisiert. Während die ersten beiden Suchtmittel gesellschaftlich toleriert, wenn nicht sogar akzeptiert sind, steht Cannabis für manche und rechtlich auf einer Stufe mit Heroin – dabei sehen Expertinnen und Experten dies mittlerweile rationaler. Im Positionspapier "Cannabis" der ARGE Suchtvorbeugung heißt es etwa, dass internationale Studien ein erheblich höheres körperliches und soziales Schadenspotenzial durch den übermäßigen Konsum von Alkohol oder Tabak als von Cannabis zeigen. So ist das Abhängigkeitspotenzial von Tabak näher an jenem von Heroin als an jenem von Cannabis (solange Cannabis nicht gemeinsam mit Tabak konsumiert wird). Lochner bestätigt: "Die teils unverhältnismäßige gesetzliche Handhabung der Substanzen wird seit Langem kritisiert." Weiters betont Lochner, dass die Darstellung von Cannabis als Einstiegsdroge überholt sei: Der Konsum einer psychoaktiven Substanz führe nicht automatisch zur nächsten, die Nutzung beschränkt sich beim Großteil der Konsumierenden auf eine sehr kurze Lebensphase, meist zwischen 20 und 25 Jahren. Betrachtet man die aktuellen Zahlen, so kifften fünf Prozent der Österreicherinnen und Österreicher über 15 im letzten Jahr. Drei Prozent geben eine Konsumierung in den letzten 30 Tagen an, nur bei 0,7 Prozent besteht der Verdacht eines problematischen Konsumverhaltens. Der Weltdrogenbericht 2022 zeigt, dass Cannabis mit 209 Millionen Nutzenden die am häufigsten genutzte Droge nach Alkohol und Nikotin ist. Während der Konsum letzterer bei jungen Menschen rückläufig ist, steigt der von Cannabis seit Jahren an.
Aus der Kriminalitätsfalle
Ein Argument für eine Entkriminalisierung von Cannabis ist, dass ein Großteil der Probleme – gerade bei Jugendlichen – vor allem aus der polizeilichen Verfolgung heraus entstehen. Ängste, Unsicherheiten und Missverständnisse von Jugendlichen werden aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen nicht ausgesprochen. Somit können diese auch nicht adäquat aufgegriffen werden und junge Menschen beziehen ihre Informationen aus anderen, oft wenig seriösen Quellen. Die Kriminalisierung führt außerdem zu einer Stigmatisierung.
Deutsche Politiker wie Karl Lauterbach begründen ihr Vorgehen auch damit, den unkontrollierten Handel und Konsum über den Schwarzmarkt und damit die organisierte Kriminalität eindämmen zu wollen, da die bisherige Kontrollpolitik gescheitert sei. Tatsache ist, das Cannabis-Verbot hat auch in Österreich nicht zu nachlassendem Konsum geführt, wie die oben genannten Zahlen zeigen. Auch sei durch die neuen Regelungen die Qualität der Droge besser zu kontrollieren, was die Gefahr von verunreinigten Substanzen (auch bei CBD-Produkten) minimiere. Eine Entkriminalisierung würde auch zu einer Entlastung von Polizei und Justiz führen: Im Jahr 2018 betrafen in Österreich 77 Prozent aller Anzeigen gemäß dem Suchtmittelgesetz Cannabis.
Bei den letzten österreichischen Befragungen zu Substanzgebrauch 2021 zeigte sich, dass die Befürworter einer legalen Verfügbarkeit von Cannabis in der Überzahl sind: Acht Prozent befürworten einen straffreien, 56 Prozent einen streng regulierten und acht Prozent einen dem Alkohol gleichgesetzten Zugang. Gegen eine regulierte Abgabe sprechen sich lediglich 28 Prozent der Bevölkerung aus. Zum Vergleich: 2016 waren es noch 42 Prozent.
Suchtgefahr und Jugendschutz
Bei allen Vorteilen einer Entkriminalisierung dürfen die gesundheitsschädigenden Nebenwirkungen, die (regelmäßiger) Cannabiskonsum mit sich bringt, nicht vergessen werden. Dazu gehören die Beeinträchtigung der Informationsverarbeitung im Gehirn, was zu einer schlechteren Gedächtnisleistung und verminderten Aufmerksamkeit führen kann. Cannabis kann psychische Erkrankungen wie Psychosen, Depressionen oder Angststörungen begünstigen und Bluthochdruck, erweiterte Blutgefäße, Herzrhythmusstörungen und Gefäßschäden auslösen. Vor allem für Jugendliche birgt der Konsum von THC-haltigen Suchtmitteln Risiken, da junge Gehirne besonders empfindlich auf die Inhaltsstoffe reagieren. Dies liegt daran, dass die körpereigenen Endocannabinoide, die bei der Steuerung der Hirn-Entwicklung eine wichtige Rolle spielen, durch die beim Cannabiskonsum von außen zugeführten Cannabinoide gestört werden. Abgesehen von den gesundheitlichen Risiken argumentieren Kritikerinnen und Kritiker, dass in jenen Bundesstaaten der USA, in denen Cannabis legalisiert wurde, der Schwarzmarkt weiter existiere und zusätzlich Probleme wie Marktregulierung, Schmuggel und Steuerbetrug dazukämen. Außerdem befürchten kritische Stimmen einen "Drogenboom" durch die einfachere Verfügbarkeit.
An der Art und Weise, wie die Entkriminalisierungs-Debatte geführt wird, ist leicht erkennbar, dass die Fronten verhärtet sind. Jedoch hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Österreich gerne erst einmal abwartet, was der "große Bruder" Deutschland macht. Ob in diesem Fall ein Nachahmen realistisch ist, bleibt abzuwarten und ist auch von den politischen Machtverhältnissen abhängig.