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Grünes Plädoyer für Grundsicherung

Von Alexandra Grass und Walter Hämmerle

Politik

"Unserer Ansicht nach ist die Richtung einfach falsch", beurteilt die stv. Grüne Klubobfrau Eva Glawischnig im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die Reformen der Regierung. Grünes Ziel ist eine Grundsicherung für alle in Höhe von etwa 800 Euro. Diese Forderung ist auch eine der "inhaltlichen Ecken und Kanten", die zum Scheitern der schwarz-grünen Koalitionsgespräche 2002 geführt habe. Bei der Auswahl eines möglichen Regierungspartners urteilen die Grünen ausschließlich nach Inhalten.


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"Wiener Zeitung": Angesichts der unpopulären Reformen, die es umzusetzen gilt - sind sie froh, nicht in der Regierung zu sein?

Eva Glawischnig: Froh oder nicht froh ist nicht die Frage. Bei den Regierungsverhandlungen hat es inhaltlich nicht gepasst. Unserer Ansicht nach ist die Richtung einfach falsch. Mit uns hätte es eine Umverteilung von unten nach oben nicht gegeben, wie jetzt bei Pensions- und Gesundheitsreform.

"Wiener Zeitung": Die Grünen lassen in letzter Zeit nicht viel von sich hören, liegen aber in den Umfragen sehr gut. Ist "Nur nicht auffallen" das neue Erfolgsgeheimnis Ihrer Politik?

Eva Glawischnig: Das ist irgendwie die typische Sommerfrage, wenn die Grünen einmal ein paar Wochen auf Urlaub sind. Tatsächlich haben wir einige interne und externe Projekte auf den Weg gebracht. Bis Jahresende wollen wir uns auf eine eventuelle Regierungsbeteiligung vorbereiten. Auch liegen schon einige Konzepte auf dem Tisch, wie etwa ein eigenes Pensionsreformmodell. Bis zum Herbst wollen wir ein gesundheitspolitisches Finanzierungskonzept präsentieren.

"Wiener Zeitung": Trotzdem hat es den Anschein, dass die Grünen, seit sie mit der ÖVP über eine Regierungszusammenarbeit verhandelt haben, an Profil verloren haben.

Eva Glawischnig: Ich teile diese These nicht. Schwarz-Grün ist genau deshalb gescheitert, weil wir inhaltliche Ecken und Kanten haben.

"Wiener Zeitung": Oder weil die Grünen selbst sich nicht einigen konnten?

Eva Glawischnig: Nein, ich hätte keine Angst gehabt, vor einen Bundeskongress zu treten, wenn das Ergebnis gepasst hätte.

"Wiener Zeitung": Niemand bestreitet, dass Reformen im Pensions- und Gesundheitsbereich aufgrund von Finanzierungsproblemen notwendig sind. Umstritten ist lediglich der Weg. Wer wären die Gewinner, wer die Verlierer Grüner Reformen?

Eva Glawischnig: Bei den Pensionen stehen wir für ein einheitliches System nach dem ASVG-Prinzip mit einer Höchstgrenze. Klares Ziel ist eine Grundsicherung für alle.

"Wiener Zeitung": Wie hoch soll diese sein?

Eva Glawischnig: Die Grundsicherung besteht aus einem Ausgleichszulagenrichtsatz in Höhe von rund 650 Euro und einem zusätzlichen Wohngeld von ungefähr 150 Euro. Eine solche Pensionsgrundsicherung wäre im System auch sofort umsetzbar.

"Wiener Zeitung": Wer soll nach Ansicht der Grünen für die zusätzlichen Mitteln im Gesundheitssystem aufkommen?

Eva Glawischnig: Das System kann jedenfalls nicht billiger werden, wenn die Qualität beibehalten werden soll. Wir wollen zuerst Effizienzpotenziale nützen und erst dann über Beitragserhöhungen diskutieren. Was wir aber auf jeden Fall ablehnen, sind Selbstbehalte als Bestrafung von individuellen Situationen.

"Wiener Zeitung": Das sind erstaunliche Parallelen zu Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat: Auch sie will zuerst Sparpotenziale nutzen und erst dann über zusätzliche Mittel reden. Ist es vorstellbar, dass die Grünen hier mit der Regierung mitgehen?

Eva Glawischnig: Ich stelle hier überhaupt nichts in Aussicht, weil noch überhaupt keine konkreten Pläne vorliegen. Zuerst will ich die Reform schwarz auf weiß sehen, dann sehen wir weiter.

"Wiener Zeitung": Das Klima zwischen SPÖ und Grünen scheint nicht das allerbeste zu sein. Erst kürzlich hat sich SPÖ-Klubvize Josef Broukal über die "Äquidistanz" der Grünen zu den beiden Großparteien mokiert.

Eva Glawischnig: Wir wollen als eigenständige Kraft wahrgenommen werden. Ich möchte Josef Broukal nur daran erinnern, dass es im schwarz-grünen Oberösterreich keine rot-grüne Mehrheit gibt. Im rot-schwarzen Salzburg, wo das sehr wohl möglich wäre, war es die SPÖ, die gesagt hat, ,wir sind ja nicht verrückt'. Dafür muss sich jetzt die SPÖ 30 Jahre nach Einführung der Fristenlösung eine Abtreibungsdiskussion antun. Das ist entwürdigend. Und im blau-rot regierten Kärnten wären wir sogar bereit gewesen, einen Herrn Ambrozy zum Landeshauptmann zu wählen.

"Wiener Zeitung": Was steckt also hinter der immer wieder kolportierten Annäherung an die ÖVP?

Eva Glawischnig: Wir urteilen ausschließlich nach Inhalten. Deshalb fällt uns auch kein Zacken aus der Krone, wenn wir einmal mit der Regierung stimmen. Im Grunde genommen ist es sogar die Regierung, die Fundamentalopposition betreibt. Und aus Prinzip nie einen Vorschlag der Opposition aufgreift. Das ist ein absolut kindisches Verhalten.

"Wiener Zeitung": In Deutschland fordert der Innenminister der rot-grünen Koalition Auffanglager für Flüchtlinge in Nordafrika.

Eva Glawischnig: Das ist völliger Schwachsinn. Die europäische Asylpolitik wird immer restriktiver. Auch in Österreich passiert Einwanderung ausschließlich über Asyl. Man kann nicht ignorieren, dass es Migrationsströme gibt. Die Grünen werden daher im Herbst ein Einwanderungsmodell präsentieren.

"Wiener Zeitung": Was wird ein Grün-Wähler nach den nächsten Wahlen bekommen - Rot-Grün oder Schwarz-Grün?

Eva Glawischnig: Wir stehen mit unseren Inhalten zur Wahl. Die Wähler sind zuerst am Wort.

"Wiener Zeitung": Wäre es nicht ehrlicher, vorher zu sagen, mit wem man eine Koalition anstrebt? In Deutschland gehen auch Rot und Grün gemeinsam in den Wahlkampf.

Eva Glawischnig: Das haben wir das letzte Mal auch gemacht. Es war aber die SPÖ, die sich nicht festlegen wollte. Daher werden wir das sicher nicht mehr tun. Nur eines kann ich kategorisch ausschließen: Es wir keinen fliegenden Wechsel zur ÖVP geben.

Das Gespräch führten Alexandra Grass und Walter Hämmerle