Zum Hauptinhalt springen

Grünes Rosa-Rot

Von Christian Rösner

Politik

Am Dienstag wird im Wiener Gemeinderat die neue Stadtregierung angelobt. Ein Blick hinter die Kulissen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In der konstituierenden Gemeinderatssitzung am kommenden Dienstag werden mit Mehrheitsbeschluss der Bürgermeister und die Stadträte gewählt. Die Aufteilung der Ressortgruppen wurde bereits diese Woche von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und dem designierten Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) präsentiert, nachdem die Beschlüsse von den Parteigremien abgesegnet wurden:

Zum größten Teil bleibt bei den Zuständigkeiten alles beim Alten, mit den Ausnahmen, dass die Stadtwerke von Ulli Sima zu Peter Hanke wandern und dafür die Digitalisierung zu Ulli Sima. Und es werden zwei völlig neue Ressorts geschaffen: Zum einen das "Innovationsressort", das alle Bereiche zusammenführen soll, die sich mit der Gestaltung und der Infrastruktur der Stadt beschäftigen. Das ist zum einen das Umsetzen der Smart-City-Strategie. Damit verbunden ist der gesamte Bereich der Stadtplanung, der Stadtentwicklung und auch der Mobilität. Leiten wird dieses Ressort die derzeit amtierende Umweltstadträtin Ulli Sima.

Der zweite neue Bereich ist das "Zukunftsressort". Es umfasst die Themen Klimaschutz, Umwelt, Demokratie sowie Personal und wird vom derzeit amtierenden Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky übernommen. Dessen Kompetenzfeld soll sich laut Ludwig mit der Frage beschäftigen, wie man klimaschutzrelevante Maßnahmen mit Bürgerbeteiligung verbinden kann.

Das Bildungsressort wird nun von den Neos und in Person von Christoph Wiederkehr übernommen. Laut Insidern sei das für die SPÖ eine gute, aber nicht ganz unproblematische Entscheidung. Gut vor allem deshalb, weil die SPÖ so ihre Politik ohne Einschränkungen fortsetzen kann. Denn in Sachen Bildung ist man mit den Neos auf einer Linie: Der beitragsfreie Kindergarten bleibt, die Plätze sollen ausgebaut werden. Im Schulbereich sollen zehn zusätzliche Ganztages-Standorte pro Jahr geschaffen werden. Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe werden ausgebaut, ebenso wie die bestehenden Betreuungsangebote in den Ferien und so weiter.

Keine Mehrheiten in Bezirken

Problematisch sei die Entscheidung allerdings, weil es die Neos schwer haben werden, mit den einzelnen Bezirken zusammenzuarbeiten. Denn dort haben sie in 19 von 23 Bezirken keine gemeinsame Mehrheit mit der SPÖ (siehe Grafik) - also für Budgets, Rechnungsabschlüsse, Projekte etc. Das war bei Rot-Grün anders, da sind sich für die SPÖ in fast allen Bezirken Mehrheitsbeschlüsse ausgegangen. Hier konnten - gesteuert von den Rathausklubs - die einzelnen Bezirksklubs relativ schnell Entscheidungen auf den Weg bringen. Das wird mit den Neos nicht so einfach laufen. Sie haben nicht einmal in jedem Bezirk ein Büro. Dabei muss vor allem der Bildungsstadtrat teilweise sehr eng mit den Bezirken zusammenarbeiten, immerhin machen die Kosten für Schulen und Kindergärten in den Bezirken mindestens 50 Prozent des Bezirksbudgets aus - Schulsanierung, Parkbetreuung, Jugendarbeit etc. MA13 (Schulen), MA10 (Kindergärten) und MA65 (Jugendarbeit) wirken dezentralisiert, weshalb ein gutes Einvernehmen zwischen Stadtrat und Bezirk wichtig ist.

In den Zuständigkeiten der Ressorts von Peter Hacker (Gesundheit, Soziales), Kathrin Gaal (Wohnbau, Frauen) und Veronika Kaup-Hasler (Kultur, Wissenschaft) bewegt sich nicht viel. Dass die Stadtwerke ins Finanzressort von Peter Hanke kommen, ist eine Rückkehr zum früheren Zustand. Die Stadtwerke sind dem Vernehmen nach 2015 nur deswegen bei Ulli Sima gelandet, weil die damalige Finanzstadträtin Renate Brauner aufgrund der umfangreichen Tätigkeit Felder loswerden wollte. Die Finanzabteilung des Magistrats und der Magistratsdirektor, der gleichzeitig Aufsichtsratchef in den Stadtwerken ist, seien nie glücklich über diese Lösung gewesen, heißt es. Mit machtpolitischen Gelüsten von Peter Hanke dürfte die Übernahme der Stadtwerke daher eher wenig zu tun haben.

Wer damit spekuliert haben sollte, dass Ulli Sima nach der Wahl Einfluss verlieren werde, hat sich gründlich getäuscht: Mit dem sogenannten Innovationsressort sitzt sie an einem der wichtigsten, aber auch herausfordernsten Hebel der Stadt. Dieses Ressort beinhaltet die gesamte Stadtplanung, Stadtentwicklung, Mobilität und den ganzen Komplex der Digitalisierung. Außerdem hat Sima mit der ganzen MA45 (Wiener Gewässer) und den Märkten (MA59) noch zusätzlich ihre "Steckenpferde") mitgenommen.

Novak auf der Wartebank

Dass Sima die Digitalisierung dazubekommt, wurde im Übrigen von einigen Genossen mit den Worten "die bereiten der Barbara Novak ein Ressort vor", kommentiert. Die Landesparteisekretärin dürfte nämlich schon lange auf einen Stadtratsposten warten. Bereits 2009 wollte sie die damalige Bildungsstadträtin Grete Laska beerben. Angesichts ihrer Affinität zu Digitalisierungsthemen könnte die These stimmen. Aber die Tatsache, dass sie mit Themen der Stadtplanung noch nie zu tun hatte, spricht eher dagegen. Dass die am Dienstag anzugelobende Stadtregierung in der laufenden Legislaturperiode umgebaut wird, erscheint gut möglich - immerhin gibt es 2024 Nationalratswahlen und die Wien-Wahl folgt bald darauf. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das Innovationsressort wird also nicht nur aufgrund seiner Größe eine Herausforderung darstellen. Dass damit die längst dienende Stadträtin betraut wird - Sima sitzt sogar schon länger als Michael Ludwig in der Stadtregierung -, ist daher nachvollziehbar.

Klima statt Umwelt

Das Zukunftsressort wiederum sieht auf dem ersten Blick so aus, als würde Althergebrachtes unter neuem Namen verkauft. Aber bei näherer Betrachtung ändert sich dieser Eindruck: Mit dem neuen Zukunftsressort von Jürgen Czernohorszky hat die SPÖ einen strategischen Coup geschafft: Sie übernimmt Ideologie der Grünwähler, erweitert den von den Grünen besetzten Begriff Umweltschutz zu Klimaschutz und gibt der ganzen Sache einen eigenen Namen. Schließlich spart eine moderne städtische Kläranlage mehr Co2 ein als jeder Pop-up-Radweg.

Das Ressort steht in Größe und Herausforderung jenem von Sima um nichts nach. Im Prinzip beinhaltet das Zukunftsressort fast alles, was vorher zu Sima gehörte - zuzüglich Energieraumplanung (MA20) und Partizipation (MA21), die vorher bei Birgit Hebein im Planungsressort beheimatet waren. Und Personal (MA2), sowie Wahlbehörde (MA62) hat Czernohorszky aus seinem Ressort mitgebracht.

Ein Nachteil scheint zu sein, dass der Stadtrat die Wien Energie nicht mit an Bord hat und dass Sima mit den Stadtwerken die Wiener Linien fehlen. Denn die öffentlichen Verkehrsmittel der Planung und Mobilität zuzuordnen hätte durchaus Sinn gemacht. Oder auch die Zusammenlegung des Energiesektors mit dem Bereich der erneuerbaren Energie. Aber offenbar sind die Stadtwerke als Ganzes zu sehen und es dürfte nicht so einfach sein, einzelne Bereiche nur aufgrund einer politischen Ressortzuständigkeit aus einem Konzern mit mehr als 15.000 Mitarbeitern herauszulösen.

Das heißt, dass Sima und Czernohorszky viel Zeit brauchen werden, bis sie sich gut eingearbeitet haben. Wobei es Czernohorszky noch leichter haben wird. Denn er kann sich jederzeit bei seiner Parteikollegin Sima Rat holen. Das ist bei einem Ressort, das zehn Jahre lang in der Hand einer anderen Partei natürlich etwas anderes. Dass Ulli Sima Birgit Hebein um Rat fragen wird, scheint unwahrscheinlich. Unabhängig von der politischen Orientierung müssen die neuen Ressortchefs sowohl ein neues Netzwerk als auch das Vertrauen zu den neuen Mitarbeitern aufbauen.

Rosa-Rot realisiert Grün

Inhaltlich hat die Wiener SPÖ mit dem neuen Koalitionspartner vorerst freie Bahn - wobei ein rot-grünes Programm wahrscheinlich nicht viel anders ausgesehen hätte. Im Prinzip verwirklicht Rot-Pink sämtliche von den Grünen auf den Weg gebrachte Ideen - vielleicht mit Ausnahme der Pop-up-Radwege. Jedenfalls werden auch die Neos Zeit brauchen, um im Rathaus Fuß zu fassen. Seine Partei habe eine ganze Legislaturperiode gebraucht, um sich halbwegs auszukennen, erklärte ein Grüner der "Wiener Zeitung". Die SPÖ muss nur darauf achten, bei ihren Projekten nicht auf die Neos zu vergessen und damit eine Koalitionskrise heraufzubeschwören.

Dass das Thema Lobautunnel bei den rot-pinken Koalitionsgesprächen kaum eine Rolle spielte, hat manche Genossen im Rathaus verwundert. Bei den Verhandlungen mit den Grünen 2015 stellte das nämlich innerhalb der SPÖ noch ein großer Streitpunkt dar: Vor allem in der Donaustadt wollten die Roten unbedingt ein klares Bekenntnis der Stadt zu diesem Projekt im Koalitionsübereinkommen festgehalten wissen.

Die Grünen waren damals dagegen, also hatte man es schließlich ausgespart. Heute gehören auch die Neos zu den Gegnern der Umfahrung. Allerdings sind sich Michael Ludwig und Christoph Wiederkehr darüber einig, dass in dieser Sache die Politik kaum noch Spielraum habe - die Angelegenheit liege bei den Gerichten bzw. der Asfinag. Allerdings räumt ein SPÖ-Insider ein, dass letztlich der Bund die zwei Milliarden Euro für den Lobautunnel bezahlen wird müssen, weswegen ein klares Bekenntnis der Stadtregierung zu dem Projekt gegenüber der Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) nicht schlecht gewesen wäre.

Aus Verhandlerkreisen heißt es, dass die Neos schon gegen die Stadtstraße in der Donaustadt gewesen seien, sie sich aber diesbezüglich sowie auch schon wegen der S1-Spange "verbogen" hätten. Da wäre es kontraproduktiv gewesen, diesen Bogen mit einer semantischen Spitzfindigkeit im Koalitionsübereinkommen zu überspannen. Abgesehen davon sei der Lobautunnel vom Verwaltungsgericht genehmigt. Sich zum Lobautunnel zu bekennen, aber nicht zur Nordostumfahrung, wäre so, wie nur für die Praterbrücke zu sein, aber sich gegen die Südosttangente auszusprechen. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Stadträte ohne Kompetenzen

Bleibt noch ein Thema hinsichtlich der am Dienstag stattfindenden Angelobung der Stadtregierung offen: Was wurde eigentlich aus der Forderung der Neos, die nicht amtsführenden Stadträte abzuschaffen? Nichts, denn dazu bedürfe es einer Änderung der Bun desverfassung und würde unerwünschte Auswirkungen auf Gemeinden andere Bundesländer nach sich ziehen, betont man bei der SPÖ bündig.

Das heißt also, dass auch am kommenden Dienstag wieder gemäß dem d’Hondtschen Rechenprinzip zwölf Stadträte angelobt werden: Der SPÖ fallen somit weiterhin sechs amtsführende Stadträte zu, den Neos einer.

Bei den nicht amtsführenden Stadträten gehen mit dem bisherigen Planungssprecher Peter Kraus und der Neo-Mandatarin Judith Pühringer zwei an die Grünen. Ebenfalls zwei nicht amtsführende Stadtratsposten werden von der ÖVP mit Isabelle Jungnickel und Landesgeschäftsführerin Bernadette Arnoldner besetzt. Auch die Freiheitlichen bekommen einen ressortlosen Stadtratsposten und diesen wird Wien-Parteichef Dominik Nepp übernehmen.

"Die teuersten Arbeitslosen"

Die nicht amtsführenden Stadträte in der Bundeshauptstadt bleiben also weiterhin eine - immerhin vom Verfassungsgerichtshof in allen Distanzen für zulässig erklärte - österreichweite Besonderheit. Auch wenn der designierte Neos-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr einmal zur "Wiener Zeitung" gesagt hat: "Das sind die teuersten Arbeitslosen der Stadt. Die bekommen im Jahr mehr als eine Million Euro fürs Nichtstun, die vom Steuerzahler gezahlt werden."