Wir werden lautlos umerzogen. Ein moderner Kalender kennt keine Feiertage mehr, sondern nur noch Arbeitsruhetage.
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Haben Sie auch so einen Kalender bekommen? Der meine ist ein Geschenk von einer freundlichen Großbank, aber es gibt dieses Modell auch woanders und in unterschiedlichen Ausführungen. Das Gemeinsame an diesen Weg- und Zeitweisern durch das Jahr 2011: Die Feiertage haben keinen Namen mehr.
Genau genommen sind sie überhaupt nur noch auf den nationalen Bedarf zugeschnittene Verzeichnisse von Tagen, an denen regulär arbeitsfrei ist. Der
25. April wird beispielsweise so ein seltsamer Tag sein. Mit einiger Kombinationskraft und weil es sich um einen Montag handelt, einigen wir uns darauf: Es müsste der Ostermontag sein. Gewonnen! Aber was gibt es am Donnerstag,
2. Juni zu feiern und was am 23. Juni? Das Büchlein verweigert die Auskunft. Arbeitsfrei wird sein und überall mit Ausnahme von Tourismusgemeinden zugesperrt, das genügt.
Es genügt natürlich nicht, denn die aus dem Datumsregister verkündete Feiertagsstimmung entbehrt ihres tieferen Grundes. Warum gerade der Dreiunzwanzigste und nicht der Vierunzwanzigste, und warum überhaupt? Die Feiertagsliste ist bestenfalls ein Service für Fenstertage-Strategen und notorische Weltreisende.
Die einen können sich im Dezember ausrechnen, mit wie wenigen Urlaubstagen laut Arbeitsruhegesetz sie wie lange dem Dienstort fernbleiben können. Und die anderen kontrollieren vor Reiseantritt die Feiertagsliste des Zielortes. Wenn schon nach Russland, dann bitte nicht ausgerechnet an Tagen, an denen das öffentliche Leben zusammenbricht und Museen geschlossen sind. Und wenn schon nach China, dann vielleicht doch ausgerechnet zum dortigen bunten Neujahrsfest, wobei freilich schon wieder der Haken dabei ist: Welcher von den chinesischen Feiertagen ist jetzt überhaupt Neujahr?
Der Kalender schweigt. Aber immerhin, die Liste mit den Feiertagsplänen ist Teil der Globalisierung.
Den Feiertagen wurden freilich so wie den Glashauserdbeeren alle Geschmacksstoffe entzogen. Das hat nicht nur mit der Globalisierung, sondern auch der Säkularisierung der Gesellschaft zu tun. Die Zeit, in der fast jedermann einen Heiligen des Tages im Kopf hatte und das Kirchenjahr fehlerlos herbeten konnte, haben wir alle nicht mehr erlebt. Inzwischen aber ist, von Weihnachten abgesehen, fast nichts mehr übrig, und auch Weihnachten wird üblicherweise als Gefühlskrisenherd definiert. Ein markanter Durchbruch der Fenstertag-Ära war die Umwandlung von Mariä Empfängnis am
8. September in einen Einkaufstag.
Inzwischen gilt fast schon für alle Feiertage und wohl bald auch für Sonntage die Unterscheidungsregel: Shopping, Wellness oder Fluchttouristik? Traditionsbewusstsein steckt am ehesten noch in lokalen Festen, die niederösterreichischen Schüler wissen sie beim Fasslrutschen am Leopolditag zu schätzen.
Ist die Menschheit gar dabei, eine neue Kulturstufe zu erklimmen? Im Gegenteil. Die Kulturleistung bestand darin, bestimmten Jahrestagen einen besonderen Sinn zu gebe, eine Art Feiertagsvertrag zu schließen. Den gibt es nicht mehr, sieht man vom morgigen Silvester ab, der es fast zu einem weltweiten Standard geschafft hat. Ansonsten wird 2011 leider nicht mehr viel in dieser Art kommen. Jammern nützt auch nichts. Aber im österreichischen Kalender sollte wenigstens noch Fronleichnam stehen, wenn Fronleichnam ist.
Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Journalist für "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".