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Die Auflösung des Folterlagers ist voll in die amerikanische Innenpolitik geraten. Das entbindet die Europäer aber nicht davon, sich ernsthafter mit dem Problem zu befassen.
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Der US-Präsident Barack Obama ist mit seinen stark ethischen Positionen auf Sand gelaufen. Die in der Ära seines Vorgängers George W. Bush tätigen Folterer und deren Hintermänner wagt er strafrechtlich nicht verfolgen zu lassen. Der Senat sperrte ihm 80 Millionen Dollar, die nötig wären, um rund 240 Häftlinge aus ihrer kubanischen Enklave auf US-Territorium zu bringen. Die Begründung der Parlamentarier einschließlich vieler Demokraten aus Obamas eigener Partei: Die Regierung habe kein schlüssiges Konzept vorgelegt.
Die gesamte Konstruktion des von Bush nach dem Anschlag der Al Kaida am 11. September 2001 auf das Welthandelszentrum angelegten Straflagers Guantanamo ruht rechtlich auf der Fiktion, dass sich die USA in einem Kriegszustand gegen den Terror befänden, der weitgehende Sondermaßnahmen zulasse.
Wenn die Verdächtigen aber jetzt, acht Jahre nach ihrer ungesetzlichen Internierung, auf dem Boden der Vereinigten Staaten anlangen, wird man sie entweder freilassen oder einem ordentliches Gerichtsverfahren mit Anklage und Verteidigung zuführen müssen. Sorgen bezüglich der Sicherheit bagatellisiert Präsident Obama - es gebe genügend Hochsicherheitsgefängnisse. Aber wie schon gesagt: Das Parlament verweigert das Geld dafür, zumindest bis zum heurigen Herbst.
Eine große Erleichterung - wenn auch hauptsächlich psychologischer Natur - wäre für Obama, wenn ihm freundlich gesinnte Staaten bei der Abarbeitung des Problems - zynisch ausgedrückt: bei der Entsorgung der Häftlinge - unter die Arme greifen könnten. Etwa 50 der Verdächtigen könnte man seiner Ansicht nach im Ausland unterbringen.
Mit Ausland ist vor allem Europa gemeint. Viele europäische Regierung und vor allem auch die Medien haben jahrelang massive Vorwürfe gegen die USA erhoben, weil diese unter Bruch humanitärer Grundrechte den Guantanamo-Betrieb unterhielten und sogar auf versteckte Filialen in einigen europäischen Staaten ausdehnten.
Jetzt, da es mit der Liquidierung dieses Systems ernst wird, spaltet sich das europäische Meinungsbild in zwei Richtungen. Mehrheitlich gilt der Standpunkt, Guantanamo sei ausschließlich eine amerikanische Sache. Auch Österreich ist ein Neinsager. Einige wenige Staaten, zu denen die Schweiz gehört, zeigen sich hingegen bereit, unschuldige Terrorverdächtige nach Freilassung aufzunehmen. In Frankreich ist ein solcher schon angekommen.
In Deutschland bahnt sich eine politische Polarisierung an, die im bevorstehenden Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen könnte. CDU und CSU zeigen sich betont zurückhaltend, und für Innenminister Wolfgang Schäuble reicht die von Washington übergebene Liste möglicher Asylanten nicht zur Bewertung aus.
Auf der anderen Seite hat Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier symbolträchtig den evangelischen Kirchentag gewählt, um zu erklären, dass sich Deutschland "nicht wegdrücken" könne: "Das ist eine Frage der Menschenwürde in einer solidarischen Welt."
Für die Regierungen in Europa ist die Frage innenpolitisch nicht weniger heikel als für Obama. Aber nach Steinmeiers Festlegung dürften sie nicht mehr so leicht um das Eingeständnis herumkommen, dass die Schließung Guantanamos verzögert würde, wenn die Europäer mit ihren viel beschworenen sozialen und humanitären Werten wieder nur deklamatorisch hantieren, aber Obama im Stich lassen. Guantanamo ist ein Welt-Unkulturerbe geworden.