Guantanamo-Häftlinge kämpfen um ihre Rechte. | Washington. (dpa) "Boumediene versus Bush, No. 06-1195" heißt der Fall in den Akten des Obersten Gerichtshofes der USA. Lakhdar Boumediene lebt seit 2002 schwer bewacht hinter den hohen Maschendrahtzäunen von Guantanamo Bay.
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Dem als "ungesetzlichen feindlichen Kämpfer" eingestuften gebürtigen Algerier und seinen etwa 360 Mithäftlingen haben die US-Regierung und der Kongress das Recht abgesprochen, die Gefangenschaft vor einem Gericht anzufechten. Damit lebt Boumediene in einem rechtlichen Niemandsland, wird nach bisherigem Stand wohl nie angeklagt und daher auch nie offiziell verurteilt, bleibt aber ein unfreier Mann - ein Zustand, der Guantanamo Bay auch in den Augen vieler Verbündeter zu einem Schandfleck für die USA gemacht hat.
Aber nun könnte der Supreme Court ein Machtwort sprechen: Er will darüber entscheiden, ob die Behandlung von Boumediene und den anderen als mutmaßliche Terroristen in Guantanamo Bay festgehaltenen Ausländern gegen die US-Verfassung verstößt.
Nach jahrelangem Tauziehen vor niedrigeren Instanzen ist der höchste Gerichtshof für die Gefangenen wahrscheinlich die letzte Hoffnung, dem zu entkommen, was Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch als ein "schwarzes Loch" bezeichnen, einem Leben ohne Zukunft in einem rechtlichen Vakuum.
So spricht denn auch die Bürgerrechtsorganisation ACLU von einem Rechtsfall mit enormer Tragweite, und unabhängige Juristen messen dem im kommenden Jahr erwarteten Gerichtsurteil ebenfalls höchste Bedeutung bei.
Flut von Eingaben
Sie spiegelt sich auch in der ungewöhnlichen Flut der Eingaben wider, die außenstehende Parteien im Vorfeld der mündlichen Verhandlung beim Gericht eingereicht haben. 30 sind es nach Medienberichten insgesamt, 26 davon enthalten Argumente zugunsten der Gefangenen. Parlamentarier aus dem Ausland, so auch aus der EU, haben sich für ihre Rechte stark gemacht, Rechtsprofessoren, frühere Richter, Militärangehörige und Bürgerrechtsorganisationen.
Vier Eingaben unterstützen die US-Regierung, die ihre bisherige Praxis für uneingeschränkt verfassungsgemäß hält.
Im Mittelpunkt steht "Habeas Corpus" ("Du mögest einen Körper haben"), ein aus dem Mittelalter stammendes Grundrecht, dem zufolge im Kern ein Mensch nur per Gerichtsurteil seiner Freiheit beraubt werden darf. Dieses Prinzip, das die Befugnisse der Exekutive und Legislative klar begrenzt, ist auch in der US-Verfassung enthalten. Danach darf das Recht nur dann genommen werden, "wenn es in Fällen einer Rebellion oder Invasion die öffentliche Sicherheit erfordert". Guantanamo-Häftlinge haben sich bei ihren bisherigen Versuchen, ihre Gefangenschaft vor einem US-Bundesgericht anzufechten, auf "Habeas Corpus" berufen.
Die US-Regierung argumentierte demgegenüber von Anfang an, dass die überwiegend in Afghanistan festgenommenen Guantanamo-Häftlinge zum einen Ausländer seien und sich außerdem nicht auf US-Boden in Gewahrsam befänden. Die "Habeas Corpus"-Akte treffe somit nicht auf sie zu. Die Regierung verweist zudem darauf, dass der Status der Gefangenen jedes Jahr durch Militärtribunale geprüft werde - ein Verfahren allerdings, das auch in weiten Teilen des Auslands als Farce angesehen wird.
So haben die Gefangenen etwa bei diesen Anhörungen nicht einmal das Recht auf Einblick in die angeblich gegen sie vorliegenden Beweise und werden von keinem Anwalt vertreten.
OGH-Einspruch
Auch der Oberste Gerichtshof nahm im Sommer vergangenen Jahres an den Tribunalen Anstoß, weil sie unrechtmäßig vom Präsidenten ohne Genehmigung des Kongresses eingerichtet worden seien. Dieser - damals noch republikanisch beherrscht - segnete das System kurz darauf nachträglich gesetzlich ab.
Nun hat der Supreme Court noch einmal das Wort, und viele Rechtsexperten meinen, dass es dabei um viel mehr geht als um die Zukunft der Guantanamo-Häftlinge. Im Mittelpunkt stehe generell die Frage, ob die USA einfach rechtlose Enklaven schaffen können.