)
In Guatemala steht die Justiz vor einer Bewährungsprobe: Bei einer zügigen Arbeitsweise wäre in diesem Jahr die Abwicklung von 15 Gerichtsverfahren und 35 Verurteilungen im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen realistisch. Doch Beobachter fürchten, dass die Ahndung der im letzten Bürgerkrieg begangenen Verbrechen weiter verschleppt wird.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"In diesem Jahr geht es um die Zukunft des Friedensabkommens", meint der Koordinator der unabhängigen Nationalen Menschenrechtskommission Guatemalas (Conadehgua), Orlando Blanco. Sollte den Opfern der Diktatur und ihren Angehörigen keine Gerechtigkeit wiederfahren, müsse der Friedensprozess als gescheitert betrachtet werden.
Guatemala war zwischen 1960 und 1990 Schauplatz der blutigsten bewaffneten Konflikte Lateinamerikas. Die Auseinandersetzungen forderten etwa 150.000 Menschenleben. Auch gelten seither mindestens 45.000 Guatemalteken als vermisst. Sie wurden, so wird gemutmaßt, von Armeeangehörigen verschleppt, gefoltert und ermordet.
Seit dem Friedensabkommen zwischen der Regierung und den Rebellen der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) im Dezember 1996 sind die bewaffneten Kämpfe und die Hexenjagd auf Regimekritiker vorüber. Dafür aber leidet das zentralamerikanische Land an neuen Problemen: an gravierender Armut, organisiertem Verbrechen und an einer ineffizienten Gerichtsbarkeit. Gerade die Justiz arbeite viel zu langsam, sei politisch nicht unabhängig und leide an finanziellen Problemen, so der Conadehgua-Koordinator Blanco.
Die Causa Myrna Mack
Sie müsste sich unter anderem mit dem Fall Myrna Mack befassen. Die Anthropologin hatte zusammen mit Widerstandsgruppen und Bürgerkriegsvertriebenen für die Kirche gearbeitet und war im September 1990 ermordet worden. Als Täter werden die hochrangigen Offiziere Edgar Augusto Godoy, Juan Valencia und Guillermo Oliva verdächtigt. Sie gehörten der militärischen Einheit an, die damals für die Sicherheit der Regierung zuständig war.
Helen Mack, Schwester des Opfers und Leiterin der unabhängigen Stiftung Myrna Mack, bemüht sich seit zwölf Jahren vergeblich darum, die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Sie wirft politischen und militärischen Kreisen vor, ihre Bemühungen zu torpedieren.
Aus diesem Grund hat Mack den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof in Costa Rica angerufen. "In Guatemala erfahren nur die Mächtigen und Reichen Gerechtigkeit", sagt sie. "Diese Situation ist eine Folgeerscheinung des bewaffneten Konfliktes."
Möglicherweise wird in diesem Jahr ein weiterer im In- und Ausland prominenter Fall zur nochmaligen Verhandlung kommen. Im letzten Jahr wurden jene Armeemitglieder schuldig gesprochen, die den Weihbischof Juan José Gerardi 1998 ermordet haben sollen. Ihre Anwälte sind in Berufung gegangen.
Auch wenn die Militärs nach wie vor in Guatemala großen Einfluss hätten, gebe es positive Veränderungen im Hinblick auf die rechtliche Situation im Lande, meint die Abgeordnete Nineth Montenegro von der linksgerichteten Allianz Neue Nation (ANN). Die künftige Vorgehensweise der Justiz in Fragen der Menschenrechte werde zeigen, wie unabhängig die Institution tatsächlich sei.
Etatkürzung im OGH
Angesichts der angekündigten Etatkürzungen, die auf den Obersten Gerichtshof zukommen, sind Opposition und Menschenrechtler wenig optimistisch, was die Verfolgung mutmaßlicher Verbrecher angeht. So sind statt 55 Mill. US-Dollar im Vorjahr für heuer nur noch 48 Mill. Dollar vorgesehen.
Erwartet wird, dass damit auch die Fälle von Korruption und persönlicher Bereicherung innerhalb der Regierung von Staatspräsident Alfonso Portillo vorerst nicht gerichtlich verhandelt werden. "Unsere Erwartungen für dieses Jahr sind ausgesprochen hoch", sagt die Aktivistin Mack. "Doch fürchte ich, dass es keine positiven Signale geben wird."