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Guerilla-Krieg in ganz Pakistan

Von Georg Friesenbichler

Politik
Gebet unter scharfer Bewachung: Moschee in Lahore nach den Anschlägen. Foto: ap

Wieder zwölf Tote bei Anschlag. | Sorge um Ausweitung der Aktionen. | Islamabad/Wien. In Süd-Waziristan sollen schon zehntausende Menschen auf der Flucht sein. In der Provinz an der Grenze zu Afghanistan will die pakistanische Armee eine Großoffensive durchführen. Es wird über erste Luftangriffe berichtet, die Gegend soll abgeriegelt und 28.000 Soldaten in Marsch gesetzt worden sein. Daneben gibt es ein weiteres Anzeichen für den Start der Offensive: Seit fast zwei Wochen entfalten auch die radikal-islamistischen Taliban, die der Armeevorstoß bekämpfen soll, blutige Aktivitäten.


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Am Freitag war neuerlich Peshawar, Hauptstadt der unruhigen Nordwestprovinzen, das Ziel. Zwölf Menschen starben durch einen Selbstmordanschlag auf ein Büro der Kriminalpolizei. Es war die sechste schwere Terrorattacke innerhalb von elf Tagen.

Die meisten davon richteten sich gegen Einrichtungen des Militärs und der Polizei, wie am Tag zuvor in Lahore. Dort starben bei Überfällen auf drei Polizeistationen mindestens 28 Menschen. Für die Einwohner der östlich gelegenen Stadt nahe der indischen Grenze ist dies eine beunruhigende Erfahrung. Lange Zeit konnte man sich dort sicher fühlen, seit etwa eineinhalb Jahren nehmen die Attentäter auch die zweitgrößte Stadt des Landes immer stärker ins Visier. "Der Feind hat einen Guerilla-Krieg begonnen", meinte Innenminister Rehman Malik - nun trieben die Islamisten auch in der Punjab-Provinz, deren Hauptstadt Lahore ist, ihr Spiel.

Internationale Gefahren

Dabei operieren die Taliban, die im Nordwesten ihre Wurzeln haben, laut Geheimdiensterkenntnissen zunehmend in Kooperation mit anderen islamistischen Gruppen aus dem Punjab. Im Süden der Provinz sollen sich die Islam-Schulen, in denen die Jihad-Krieger gerne ihre Gefolgschaft rekrutieren, stark vermehrt haben. Die Polizei suchte in Lahore Verdächtige in den Armenvierteln und überwiegend von Afghanen bewohnten Stadtteilen. Es gab dutzende Festnahmen.

Die bevölkerungsreichste Provinz Pakistans gilt als das ökonomische und politische Herzstück des Landes. Nachbar Indien ist besorgt, die islamistischen Aktivitäten könnten sich über die heikle Grenze ausbreiten und auch indische Städte in Mitleidenschaft ziehen. Zudem droht die Gefahr, dass eine geschwächte pakistanische Regierung versucht, ihre Defizite durch nationalistische Töne wettzumachen - die zarten Versuche einer Aussöhnung mit dem Erbfeind Indien wären gefährdet.

Mit Sorge wird international auch diskutiert, ob die Islamisten in den Besitz von nuklearem Material der Atommacht kommen könnten, um daraus eine "schmutzige Bombe" zu bauen. Experten glauben allerdings, dass die Gefahr nicht von angreifenden Extremisten ausgeht, sondern von Arbeitern, die versuchen könnten, spaltbares Material aus den Atomfabriken zu schmuggeln.

Eine Schwachstelle dabei ist die Armee, die die Atomwaffenlager zu schützen hat. Zwar werden die zuständigen Offiziere sorgfältig überprüft, aber eine Kooperation mit Extremisten ist nicht ausgeschlossen. In der Vergangenheit hat man der Armee und vor allem dem Geheimdienst immer wieder vorgeworfen, mit den Islamisten gemeinsame Sache zu machen.

Zudem offenbaren sich neue Klüfte zwischen dem Militär, das lange Zeit das Land faktisch regiert hat, und der zivilen Regierung. Die Armee stieß sich jüngst an der nicht-militärischen Hilfe, die US-Präsident Barack Obama am Donnerstag mit seiner Unterschrift gewährt hat. Die versprochenen 7,5 Millionen Dollar bedeuten eine Verdreifachung der US-Hilfe für die nächsten fünf Jahre. Washington trat den Befürchtungen der Generäle und der Opposition entgegen, dass durch die damit verbundenen Bedingungen die Souveränität Pakistans untergraben werde. Eine Forderung ist, dass sich die pakistanische Armee aus der Politik herauszuhalten hat.

Ein weiteres US-Verlangen richtet sich auf das nachweisbare Vorgehen gegen Jihadisten. Dies soll nun in Süd-Waziristan erfolgen. Experten glauben freilich, dass die Voraussetzungen dafür weit schlechter sind als bei der Frühjahrs-Offensive im Swat-Tal. Schon dreimal haben die Regierungssoldaten vergeblich versucht, Waziristans unzugängliche Bergregion unter Kontrolle zu bringen.

Von Paschtunen besiedelt, die auch im angrenzenden Afghanistan die größte Ethnie stellen, gilt die Gegend als Taliban-Hochburg, in der auch Al-Kaida-Kämpfer und islamistische Usbeken Unterschlupf finden. Die lang zurückreichende Widerstandstradition der ansässigen Stämme lässt ebenso an einem Erfolg der Regierung zweifeln wie die Jahreszeit: Der Winter steht vor der Tür, und damit das Ende der geplanten Kampfhandlungen.