Güls Sieg im dritten Wahlgang ist so gut wie sicher. | Gegner fürchten eine Islamisierung der Türkei. | Istanbul. (apa) Abdullah Gül erlebte eine Niederlage, doch sein Lächeln zeigte trotzdem Siegesgewissheit. Mit 341 Stimmen scheiterte Gül am Montag in der ersten Runde der Präsidentenwahl im Parlament von Ankara an der Zweidrittel-Hürde, für die mindestens 367 Stimmen nötig gewesen wäre.
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Der 56-jährige Gül blieb zwar weit vor Gegenkandidaten aus einer nationalistischen und einer kemalistischen Partei, muss sich aber trotzdem einem zweiten und voraussichtlich einem dritten Wahlgang stellen. Dass er spätestens am Dienstag kommender Woche neuer Staatspräsident sein wird, gilt als sicher. Im Plenum nahm Gül deshalb trotz seiner Wahlniederlage die Glückwünsche von Parteifreunden entgegen.
Das türkische Staatspräsidentenamt ist nicht nur der angesehenste Posten, den die Politik in Ankara zu vergeben hat. Der Präsident hat auch das Recht zur Ernennung von hohen Richtern und anderen Spitzenbeamten. Die türkischen Kemalisten, die sich auf das Erbe von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk berufen, werfen Gül vor, er wolle seine Vollmachten als Staatschef benutzen, um die Türkei zu islamisieren. Auch die Tatsache, dass Güls Frau Hayrünnisa bei einer Wahl ihres Mannes die erste türkische First Lady mit Kopftuch sein würde, sorgt bei den Gegnern der fromm-konservativen Regierungspartei AKP für Kritik. Die Armee hatte ebenfalls Kritik an Güls Kandidatur geäußert und im Frühjahr mit einem Putsch gedroht. Vor wenigen Tagen deuteten die Militärs aber an, dass sie Güls Wahl hinnehmen werden.
Vertreter der Kurden legen sich quer
Neben den Stimmen der 340 AKP-Abgeordneten erhielt Gül die Unterstützung eines nationalistischen Abgeordneten. Die Kurdenpartei DTP, die mit ihren 20 Abgeordneten für einen Sieg von Gül im ersten Durchgang hätte sorgen können, gab leere Wahlzettel und damit ungültige Stimmen ab. Güls Vorschläge zur Lösung des Kurdenproblems seien aus Sicht der DTP ungenügend, erklärte die Partei zur Begründung.
Dass Gül am Montag an der Zweidrittel-Hürde scheiterte, ist kein Ausdruck des Streits um seine Kandidatur, sondern politische Normalität in der Türkei: Seit mehr als 40 Jahren ist kein Staatspräsident mehr im Parlament im ersten Anlauf gewählt worden. Gül erhielt am Montag sogar mehr Stimmen als der amtierende Staatschef Ahmet Necdet Sezer bei dessen Wahl vor sieben Jahren.
Nun tritt das Parlament am Freitag zum zweiten Wahlgang zusammen. Auch dabei ist die Zweidrittelmehrheit erforderlich. Bleibt Gül wieder unter der Schwelle der Zweidrittelmehrheit, geht die Präsidentenkür am 28. August in den dritten und voraussichtlich entscheidenden Durchgang. Nach der Verfassung ist beim dritten Anlauf nur noch die absolute Mehrheit der Sitze erforderlich, also 276 Stimmen. Das bedeutet, dass die AKP ihren Kandidaten Gül dann aus eigener Kraft zum Präsidenten wählen kann. Nach der Planung des Parlamentspräsidiums soll der neue Staatschef noch am Tag seiner Wahl im Plenum vereidigt werden.
Boykott der Kemalisten blieb ohne Wirkung
Die kemalistische Oppositionspartei CHP mit ihren knapp hundert Parlamentariern boykottierte die Wahl am Montag aus Protest gegen angebliche islamistische Tendenzen von Gül. Anders als im Frühjahr, als die CHP durch ihren Boykott die Präsidentenpläne des Außenministers durchkreuzen konnte, hatte das Fernbleiben der Kemalistenpartei diesmal keine Folgen, weil andere Oppositionsparteien im Parlament erschienen und so dafür sorgten, dass mehr als die mindestens erforderlichen 367 Abgeordneten bei der Wahl im Plenum waren.