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Gurkerlernte mit Kinderbetreuung

Von Julian Kern

Wirtschaft
In der körperlich anstrengenden Erntearbeit deckte die Ukraine rund ein Fünftel der Arbeitskräfte ab.
© Bettina Amon

Ukrainische Erntearbeiter fehlen kriegsbedingt. Die Ukrainerinnen auf dem Feld werden aber mehr. Ein Lokalaugenschein.


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Wir haben sofort gesagt: Jeder, der kommen möchte, soll kommen", sagt Bernhard Mayr aus dem oberösterreichischen Ansfelden. Wo normalerweise täglich die Vorbereitungsarbeiten für die "Gurkerl"-Ernte im Juni zunehmen, mietete der Landwirt bereits zwei Wochen nach Kriegsbeginn in der Ukraine zwei Häuser an. Heute kümmert sich die Familie Mayr dort um neun geflüchtete Ukrainerinnen und deren sieben Kinder. Die Kleinsten besuchen in der aktuellen Woche erstmals den Kindergarten, die älteren haben bereits die erste Schulwoche hinter sich: "In der Klasse geht’s uns gut, die Lehrerinnen reden Englisch mit uns und ich verstehe auch schon ein bisschen Deutsch", sagt die 14-jährige Christine, das Sprachrohr und die Übersetzerin der Gruppe.

Von den insgesamt rund 16.000 Erntearbeitern und -arbeiterinnen auf Österreichs Feldern entfallen jährlich zwischen 2.500 und 3.000 auf Ukrainerinnen und Ukrainer. Die meisten arbeiten in Oberösterreich und Tirol. Vor allem zwischen 2020 und 2021 gab es laut der Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ) einen starken Zuwachs an Saisonarbeiterinnen und -arbeitern mit ukrainischer Staatsbürgerschaft.

Nicht überall harmonisch

Aufgrund des Krieges spitzt sich die Situation in so manchem Hof zu: Wie Familie Mayr pflegen auch andere Landwirte jahrelange freundschaftliche Beziehungen zu ihren Saisonarbeitskräften und sprangen nach der Flucht als Gastgeber für diese ein. Mit männlichen Saisonarbeitern ist aufgrund des Krieges und der Generalmobilmachung in der Ukraine zurzeit nicht zu rechnen.

Alternative Arbeitskräfte anzuwerben, gestalte sich aufgrund der meist begrenzten Unterbringungskapazitäten ebenfalls als schwierig. Weder die Betriebe wollen "ihre" langjährigen Arbeitskräfte und mitgereisten Familien in dieser schwierigen Situation abweisen, noch wollen diese fremd in Notquartieren untergebracht werden. In Oberösterreich hofft man, die Erntesaison mit Ukrainern, die sich bereits vor dem Krieg im EU-Ausland befanden oder verstärkt mit Erntearbeiterinnen, zu meistern. Die Arbeit auf dem "Gurkerl"-Feld lasse es zu, "für körperlich sehr schwere Arbeiten, wie zum Beispiel einen Anhänger umhängen, brauchen wir aber auch Männer".

Während viele Landwirte über Jahre hinweg auf ihr "Stammpersonal" setzen, nutzen manche wenige die Arbeitsverhältnisse und Abhängigkeiten aus: unbezahlte Überstunden, fehlende Wochenendzuschläge oder Blanko-Zettel zur Dokumentation der vermeintlichen Arbeitszeiten. "Die schwarzen Schafe werden Gott sei Dank weniger", so Andreas Freistetter, Präsident der Landarbeiterkammer Österreich (LAK). Zudem werden Unterkünfte und die Einhaltung sozialer und gesetzlicher Standards immer strenger kontrolliert. "Es spricht sich herum, dass das Kontrollnetz engmaschiger wird und es für die, die sich nicht an Regeln und Gesetze halten, immer gefährlicher wird."

"Kontrolle schafft vertrauen"

Mayr kennt die Kontrollen der Finanzpolizei. Immer wieder sei er aufgrund von vermeintlichen Missständen angezeigt worden. Anfangs sei das unangenehm gewesen, "mittlerweile denke ich mir: Sollen sie doch kommen, ich habe nichts zu verbergen. Kontrollen sind gut, sie schaffen Vertrauen", sagt der Landwirt. Seitens der Produktionsgewerkschaft (Proge) wünscht man sich für die Zukunft außerdem, dass Daten des Agrarmarkt Austria (AMA) in Kontrollen miteingebunden werden. "Die AMA weiß genau, wie viel angebaut wird, und dann kann man sich relativ einfach ausrechnen, wie viele Personen für die Ernte notwendig sind. So könnte man sehr leicht prüfen, ob Arbeitszeitaufzeichnungen stimmen oder nicht", sagt Karl Orthaber von der Produktionsgewerkschaft.

Zu wenig Lohn?

Gut 1.567,46 Euro brutto - so viel verdienen Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter monatlich laut Kollektivvertrag. Abzüglich Lohnsteuer und Sozialversicherung bleibt dabei ein Stundenlohn zwischen sieben und acht Euro netto übrig. Zu wenig? Mayr betont: "Das ist kein schlechter Lohn, sondern genauso hoch, wie die Branche es zulässt." Zudem könnten sich laut Mayr viele rund 1.000 Euro im Monat zur Seite legen und ansparen, da für Quartier, Verpflegung und den damit verbunden Einkäufen gesorgt sei. Für abzüglich 197 Euro im Monat gibt es am Hof in Ansfelden drei Mahlzeiten und eine Jause für die Feldarbeit: "Wenn die Arbeit bei uns am Nachmittag getan ist, haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frei. Niemand muss dann noch kochen oder in der Freizeit Einkaufen fahren."

Neben der Lohndebatte sorgen in der Branche auch immer wieder Sprachbarrieren für Probleme: "Kenntnisse über Arbeitszeiten, was erlaubt ist und was nicht, sind oft nicht vorhanden", sagt Orthaber. "Mit Feldaktionen unserer Aufklärungskampagne ,Sezonieri‘ versuchen wir natürlich, in Kontakt zu kommen, aber dass wir bei Missständen direkt eingreifen könnten, da müssten Arbeitskräfte von sich aus aktiv werden und uns einen Auftrag geben." Dazu komme es aber selten, berichtet Orthaber.

Sowohl die Gewerkschaft als auch die Landwirtschaftskammer versuchen demnach, mit Informationsbroschüren sowie Ansprechpersonen mit geeigneten Fremdsprachenkenntnissen, mehr Wissen unter den Arbeiterinnen und Arbeitern zu schaffen. Wie das aktuelle Problem der ausbleibenden Erntearbeitskräfte gelöst werden könnte, ist nicht gänzlich geklärt: "In Oberösterreich haben wir gehört, dass dies mit Erntearbeitern aus Westbalkanländern gelingen soll", sagt Freistetter.

Was muss sich ändern?

In Zukunft brauche es aber auch ein Umdenken in der Branche, sagt der Landarbeiterkammer-Präsident. Neben höheren Löhnen spielt man mit dem Gedanken, den Job künftig auch für heimische Arbeitskräfte attraktiver zu machen: große Arbeitgeberzusammenschlüsse aus landwirtschaftlichen Betrieben, in denen Personen angestellt werden und dann nach Bedarf an die Betriebe weitervermittelt werden. So soll es gelingen, ganzjährig Arbeitskräfte anzustellen. Im Frühjahr und Sommer die Spargel- und Gemüseernte, im Herbst würde man in Weingärten Arbeitskräfte benötigen. "Wenn ich wenig verdiene und für drei Monate eine schwere Arbeit habe, ist das nachvollziehbar, dass sich da nur wenige bereit dafür erklären werden."

Wie man eine körperlich anstrengende Arbeit zu diesem Lohn attraktiver machen könnte, weiß Bernhard Mayr aus Ansfelden nicht. Zudem glaubt er nicht, dass eine ganzjährige Anstellung die Situation ändern würde: "Die, die zu uns kommen, freuen sich auch wieder auf zu Hause und wollen gar nicht länger bleiben", sagt er. Wie es um die Erntearbeit in der Zukunft bestellt ist, bleibt abzuwarten, kurzfristig soll es sogar mit Unterstützung aus Südamerika gelingen: In Vorarlberg denkt man offenbar an Arbeitskräfte aus Brasilien, die man diesen Sommer ins Land bringen möchte, so Freistetter.