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Gusenbauer als launiger Europäer

Von Julia Urbanek

Politik

Der Ex-Kanzler referierte in Linz über Europa und die Zukunft der Demokratie. | Linz. Kurz nach 19 Uhr, manch Zuhörer wird bereits ungehalten: "Pünktlichkeit hat er ned glernt", ätzt ein älterer Mann. Die anderen warten geduldig auf den ehemaligen Bundeskanzler - der Saal im Linzer Wissensturm ist an diesem Mittwochabend zum Bersten voll. Alfred Gusenbauer ist der erste Redner der Vortragsreihe "Europa - die demokratische Herausforderung", die von Linz09 und der Volkshochschule veranstaltet wird.


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Dass die EU trotz der demokratisierenden Wirkung der Europäischen Integration für Demokratiedefizit gegeißelt werde, erklärt Gusenbauer mit fehlenden direkten Einflussmöglichkeiten der Bürger: "Die Grundlage jeder Demokratie besteht darin, dass jedes Volk ohne Krieg und ohne Revolte seine Herrscher abwählen kann. Das kann man in Europa bisher nicht." Den Einwurf eines Zuschauers, dass sich auch Bundeskanzler nicht so ohne weiteres abwählen ließen, kommentierte Gusenbauer launig: "Bei uns gehens eh von selber".

Da in der EU die direkte Wahl der Kommission nicht möglich ist, würden von den Bürgern häufig die Union selbst und ihr Institutionensystem in Frage gestellt. Der Lissaboner Vertrag verbessere die Demokratie dahingehend, dass nun jene Partei, die die EU-Parlamentswahlen im jeweiligen Land gewinnt, auch den Kommissar stellt.

Kommissar-Streit wird bald vergessen sein

Zu den Streitigkeiten um die Bestellung des österreichischen Kommissars gefragt, meint Gusenbauer: "Wieso sollte es anders ablaufen als jede andere politische Personalbesetzung?" Eine negative internationale Wahrnehmung der langwierigen Postendiskussion solle man nicht überbewerten: "Wie immer bei solchen Dingen wird man nach einer gewissen Zeit nicht mehr drüber reden", erklärte er der "Wiener Zeitung".

Der Lissaboner Vertrag sei ein nächster Schritt, der Europa stärker und demokratischer mache. Der neue Vertrag beinhaltet die Einsetzung eines EU-Außenministers, für den auch Gusenbauer im Gespräch ist. Der Ex-Kanzler dazu knapp: "Ich habe davon gehört."

Ein eher düsteres Bild zeichnet Gusenbauer von der ökonomischen Zukunft Europas: "Demokratie überzeugt durch wirtschaftlichen Erfolg. Demokratische Verhältnisse kann man ohne solchen Erfolg nicht dauerhaft stabilisieren." Da in den kommenden Jahren Europa im Vergleich zu Asien und den USA am schwächsten wachsen werde, liegt für Gusenbauer die Lösung für eine Demokratiestabilisierung in höherer sozialer Gerechtigkeit.

Er würde sich daher dasselbe Engagement bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wie bei der Rettung der Banken wünschen: "Viele glauben, die Krise ist bald vorbei und dann geht es weiter wie vorher - das ist eine große Illusion. Die alte Logik, die in die Krise geführt hat, wird nicht aus ihr hinausführen."