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Gusenbauer setzt auf Wendestimmung

Von Brigitte Pechar

Politik

Arbeitslosigkeit, Bildung und Gesundheit Hauptthemen des SP-Wahlkampfs. | Gusenbauer macht Schüssel und Barroso für EU-Skepsis verantwortlich. | "Wiener Zeitung":Die SPÖ liegt in den Umfragen konstant vor der ÖVP, zuletzt sah OGM die SPÖ bei 42 und die ÖVP bei 36 Prozent. Im Jahr 2002 war die Stimmung für die SPÖ ähnlich gut, dennoch hat die ÖVP die Nationalratswahl gewonnen. Wie wollen Sie es diesmal schaffen, die positive Stimmung für die SPÖ bis zur Nationalratswahl im Herbst 2006 zu retten?


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Alfred Gusenbauer: Wir werden deutlich darstellen, dass die Politik der schwarz-orangen Bundesregierung an den Interessen der Bevölkerung völlig vorbeigeht. In den Kernfragen Arbeitslosigkeit, Bildung und Gesundheit herrscht Stillstand. Außerdem war die Stimmung 2002 völlig anders. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte der Regierung damals zugestanden, noch nicht genügend Zeit für Reformen gehabt zu haben. Jetzt ist das anders. Die Bevölkerung hat ein genaues Bild von der Arbeit der Regierung. Jetzt ist eine Wendestimmung da.

Welche Themen werden Sie im Wahljahr forcieren?

Die Reduktion der Arbeitslosigkeit ist uns ein besonderes Anliegen - und dabei vor allem jene der Jugendarbeitslosigkeit, die in den letzten fünf Jahren um 80 Prozent angestiegen ist. Derzeit sind 62.000 junge Menschen arbeitslos. Das ist das negativste Signal an die Jugend, ihnen so zu sagen, wir brauchen euch nicht, wir haben keine Verwendung für euch.

Wie wollen Sie die Jugendarbeitslosigkeit in den Griff bekommen?

Wir werden die Jugendarbeitslosigkeit innerhalb einer Legislaturperiode halbieren. Dazu braucht es einen Mix: Einerseits durch die Belebung der Wirtschaft - mit einem Investitionsfreibetrag, durch eine steuerliche Entlastung des Mittelstands. Zweitens werden wir einen Lehrlingsausbildungsfonds einrichten, der neben der schulischen eine qualitative Ausbildung garantiert.

Ihre Einstufung der Bezieher von 2500 Euro-Bruttolöhnen als Mittelstand hat Verwunderung hervorgerufen.

Das ist aber so. Nur 10 Prozent der österreichischen Bevölkerung verdienen mehr als 3700 Euro brutto, 90 Prozent verdienen weniger. Daher werden wir auch jene, die zwischen 2000 und 4000 Euro brutto verdienen, entlasten. Das ist das Gros des Mittelstandes, das derzeit über Gebühr zur Kasse gebeten wird.

Davon leiten Sie auch ihre Forderung nach Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage von derzeit 3600 auf 5000 Euro ab?

Das Gesundheistssystem ist keine steuerliche Frage. Hier müssen wir uns entscheiden zwischen einer Zwei-Klassen-Medizin oder einer solidarischen Finanzierung. Bevor man weiter die Selbstbehalte erhöht und damit eine Zwei-Klassen-Medizin erzeugt, ist es doch vernünftiger, Solidaritätslücken zu schließen.

Und das würde mit einer Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage für die Krankenversicherung passieren?

Ja. Derzeit zahlt jemand, der brutto 10.000 Euro im Monat verdient netto genauso viel wie jemand, der 2870 Euro verdient.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel fordert in der "Financial Times" einen Kurswechsel bei den EU-Finanzen. Wie beurteilen Sie den Budgetabschluss des EU-Rates?

Dieses EU-Budget ist kein Weg aus der Sinnkrise der EU, weil damit strukturell nichts verändert wird. Noch immer gehen 52 Prozent der Agrarsubventionen an 6 Prozent der großen Betriebe, umgekehrt erhalten 53 Prozent der kleinsten Betriebe nur 4 Prozent. Dieses Budget ist eine Kapitulation vor den Problemen, vor denen die EU steht.

Die Österreicher zählen zu den größten EU-Skeptikern. Wie kann man dem begegnen?

Diejenigen, die die Europaskepsis beklagen, sind in Wirklichkeit die Hauptverursacher. Das beginnt bei Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und endet bei Schüssel.

Barroso hat erst am Mittwoch Österreichs Uni-Zugangspolitik kritisiert.

Wenn Barroso der Meinung ist, dass Österreich froh sein soll, dass deutsche Studenten die österreichischen Medizin-Unis stürmen, hat er keine Ahnung. Dieser Herr ist inkompetent. Es ist davon auszugehen, dass seine sonstigen Beurteilungen auf demselben Informationsmangel beruhen. Jemand, der sich so oberflächlich mit den Problemen befasst, ist untragbar.

Ist das eine Rücktrittsaufforderung an den Kommissionspräsidenten?

Barroso an der Spitze der Kommission ist ein Sicherheitsrisiko. Der Parteifreund Schüssels ist der Anwalt des neoliberalen Europas und nicht imstande, einen Kurswechsel zu vollziehen.

Wer könnte dann den Kurswechsel vollziehen?

Die Staaten, die die Präsidentschaft ausüben.

Das wird ab Jänner Österreich sein.

Der Bundeskanzler hat für die EU-Präsidentschaft bisher nichts vorgegeben. Damit entstand ein Vakuum und man darf sich nicht wundern, wenn dieses von allen möglichen Figuren genützt wird. Siehe Barroso und etwa auch Chirac mit seiner Forderung nach einem Kerneuropa. Österreich sollte jetzt ein Motor sein, gerade in der Krise, aber von Schüssel kommt außer Rhetorik nichts.