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Gusenbauers Befreiungsschlag kommt spät - vielleicht sogar zu spät

Von Walter Hämmerle

Analysen

Nach der Bawag-/ÖGB-Affäre wird im Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung nichts mehr so sein, wie es früher einmal war. Nach Wochen, in denen die Wahlchancen der SPÖ mit jeder Schreckensmeldung aus dem Sumpf der Bawag-Affäre wie Schnee in gleißender Sonne dahinschmolzen, hat sich Parteichef Alfred Gusenbauer nun offensichtlich zu einem Befreiungsschlag durchgerungen: Künftig will er keinen Spitzengewerkschafter mehr im SPÖ-Parlamentsklub begrüßen - und Gusenbauer verknüpfte diese Forderung sogar mit seinem persönlichen politischen Schicksal.


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Der Sinneswandel kommt reichlich spät. Noch bei der SPÖ-Klubklausur verteidigten Gusenbauer und sein gesamtes Team vehement die Tradition, dass Spitzengewerkschafter ein verbrieftes Anrecht auf ein SPÖ-Mandat besitzen. Der Parteichef selbst war es, der dem neuen ÖGB-Chef Rudolf Hundstorfer einen Sitz im Parlament anbot.

Die Wiener SPÖ setzte vor wenigen Tagen sogar noch eines drauf, indem Parteichef Michael Häupl höchstpersönlich Hundstorfer die Spitzenkandidatur in der Bundeshauptstadt via Medien auf dem Silbertablett servierte.

Und nun also die radikale Kehrtwendung. Die Deutlichkeit, mit der Gusenbauer seinem Frust über die roten Gewerkschafter Luft machte, legt den Schluss nahe, dass die internen Umfragen der SPÖ mindestens so katastrophal sind wie die in den Medien publizierten. In diesen verwandelte sich ein Vorsprung auf die ÖVP von drei bis vier Prozentpunkte in einen Rückstand derselben Größenordnung.

Gusenbauer versucht mit seiner Ankündigung zum letztmöglichen Moment einen Befreiungsschlag. Ob er gelingt, steht in den Sternen. Die Mobilisierungskraft der SPÖ hängt zu einem wesentlichen Teil von der Bereitschaft der roten Gewerkschafter ab, für den jeweiligen Spitzenkandidaten um Wählerstimmen zu rennen. Ob sie dies nun auch im Herbst für Alfred Gusenbauer tun werden?

Die Folgen einer konsequentere Trennung von SPÖ und ÖGB, wie sie der SPÖ-Chef nach eigenen Worten nun anstrebt, würde jedoch nicht mit dem kommenden Wahlsonntag enden. Vor allem der ÖGB müsste sich völlig neu erfinden, denn bisher hatte er in zentralen politischen Fragen de facto ein innerparteiliches Veto-Recht. So gelang es ihm etwa in den 90er Jahren erfolgreich und wiederholt, eine Pensionsreform unter SPÖ-Kanzlerschaft zu verhindern. Gleichzeitig konnten eigene Anliegen via SPÖ-Klub relativ reibungslos in Gesetzestexte einfließen. Künftig würde ein solcher Automatismus wegfallen, gleichzeitig jedoch der politische Handlungsspielraum vor allem gegenüber einer SPÖ-geführten Regierung steigen. Dasselbe gilt vice-versa auch für die SPÖ.

Noch ist allerdings völlig offen, ob es sich bei Gusenbauers Ankündigung um eine feste Überzeugung, der auch entsprechende Taten folgen, oder doch nur um ein verzweifeltes Rettungsmanöver für den Wahltag handelt.