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Gut betucht in allen Maßen

Von Werner Grotte

Wirtschaft

Österreichs Textilbranche ist am Ende. Ganz am Ende? Nein, ein kleiner Betrieb im südlichsten Niederösterreich leistet mit stilvoller Maßschneiderei hartnäckig Widerstand - und expandiert sogar.


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© © Wiener Zeitung

Hört man seine Stimme am Telefon, stellt man sich Lothar Bechtold als großen, starken Mann vor. In unverfälschtem Vorarlberger Dialekt erklärt er die Finessen maßgefertigter Einzelstücke aus seiner Hand - bis er aufgibt. "Kommen’s doch einfach her nach Krumbach. Sie werden sehen, es lohnt sich, auch wegen der Landschaft." Schon der Weg in die Bucklige Welt ist ein Erlebnis. Echte Provinz, richtige "Kuhdörfer" im positivsten Wortsinn; saftige Weiden, kräftiges Fleckvieh, gepflegte Höfe, dichte Wälder. Aber was hat eine Maßschneiderei hierher verschlagen?

Als uns Meister Bechtold empfängt, bleibt uns gleich mehrfach der Mund offen. Zunächst ist der vermeintliche Stimm-Bär eine gepflegte, schlanke Erscheinung Anfang vierzig, an dem bestenfalls der kurz gestutzte Bart und die Zigarette ein wenig bärig wirken. Umso bombastischer sein Reich. Die Schneiderei mit sechs Angestellten firmiert in einem ehemaligen Theatersaal samt Bühne, Souffleurkoje und großen, alten Holzfenstern. Hier, im Kuhdorf. Ein Unikum im Unikum.

"Sie können mir glei zuschauen, weil i muss eh noch was fertig machen", sagt Bechtold, sichtlich im Arbeitseifer. "Wissen’s, wir können uns keine Stehzeiten leisten, bei uns sitzt jeder Handgriff, weil sonst tät mas mit’n Preis gar nit derpacken." Immerhin muss sich sein Betrieb, in dem er nur Fachleute aus der Region beschäftigt, gegen Billigst-Konkurrenz aus Fernost durchsetzen.

Was hat den Westösterreicher zur Schneiderei und dann hierher verschlagen? Als Lothar 1969 als sechstes Kind der Familie geboren wurde, gab es in Vorarlberg noch traditionelle Textilindustrie und namhafte Betriebe. Weil ihm Schneidern gefiel, begann

Lothar an der Modeschule, flüchtete aber bald wieder. "Das waren lauter kleine Designer. Ich aber wollte richtig nähen lernen", erinnert sich Bechtold. Also heuerte er in einem der "namhaften" Betriebe an. Fünf Jahre saß er gemeinsam mit 700 anderen am Fließband, wo am Tag 1500 Anzüge gefertigt wurden. "A Knochenarbeit, aber ich hab enorm viel gelernt. Wenn ich meinen Angestellten heut‘ was anschaff‘, weiß ich, dass es geht und wie es geht!" - Seine Damen an den Maschinen ringsherum nicken anerkennend. Der Chef ist einer von ihnen, auch wenn er jetzt eher für das Design zuständig ist.

Die Kontakte, das Fachwissen, die Tricks hat er sich auf der ganzen Welt abgeschaut. Nach dem Fließband machte Bechtold die Meisterklasse samt Meisterprüfung; seither ist er selbständig. Zunächst schneiderte er in Kanada, dann sogar in China. "Man muss die Konkurrenz kennen, wenn man ihr Paroli bieten will", so der Lebenskünstler, der zwischendurch auch schon einmal als Flugbegleiter arbeitete. "Sehr interessant, aber am Abend bleibt nichts übrig, was man angreifen kann so wie ein schönes Kleid", gibt er seiner Profession klar den Vorzug.

Auch in der Großstadt Wien hielt es den "erklärten Landmenschen" nicht ewig. Bechtold zog in eine Gründerzeitvilla im niederösterreichischen Piestingtal, wo er gemeinsam mit Lebenspartner Michael wohnt. Zunächst betrieb er auch die Firma dort. Michael, gelernter Kinderbuchautor, zeichnet die Kleidungsstücke nach Angaben der Kunden oder eigenen Ideen, Lothar fertigt nach Maßnahme die Karton-Schablonen, nach denen dann die Einzelteile aus Stoff zusammengenäht werden. Präzisions-Handarbeit mit hohem Kreativitätsanteil. Ohne Computer.

"Irgendwann sind wir mit den Aufträgen nicht mehr nachgekommen, haben uns eine Angestellte genommen und es wurde immer enger daheim", erzählt Bechtold. Vor zwei Jahren fand sich schließlich der verlassene Krumbacher Theatersaal, und das aufblühende Unternehmen übersiedelte. Hier ist genug Platz zum Arbeiten und auch zum Repräsentieren - samt Bühne.

Seine Mitarbeiterinnen - außer Michael und Lothar nur Frauen - verdankt er der Textilkrise. "Hier in der Nähe, in Hartberg, hat auch eines der letzten Traditionsunternehmen zugesperrt, just zu der Zeit, wo wir Bedarf hatten." Er konnte sich die Besten aussuchen und sie zu einer perfekt eingespielten Mannschaft vereinen. Trotzdem ist das Geschäft hart. "Die Leute zahlen ihrem Automechaniker 110 Euro die Stunde. Das kann ich nicht verlangen, obwohl ich ebenso Handwerker und Meister bin", betont der Schneider. Er kalkuliert die Stunde mit 45 Euro, um das Preisniveau halbwegs akzeptabel zu machen. "Gegen Textil-Diskonter-Massenware komme ich natürlich trotzdem nicht auf, aber das ist auch keine direkte Konkurrenz. Wer dort kauft, vergisst gern, unter welch grauenhaften Arbeitsbedingungen diese Dinge hergestellt werden, um so billig sein zu können", weiß Bechtold, der "aus Überzeugung aus dem Ausland nach Österreich zurückgekehrt ist und gern hier arbeitet und lebt".

Wer sind nun die Kunden des selbstbewussten Schneidermeisters? "Fast nur Endverbraucher", sagt Bechtold. Seine Werbung erfolgt "über Mundpropaganda, wenn einer seinen Freund trifft und sagt, mei wo hast denn des lässige Trumm her‘, dann wird er zu mir g‘schickt und so geht des weiter." Ein professioneller Internetauftritt und regelmäßige Präsenz bei Fachmessen tun ein Übriges. "Wenn ich von so einer Messe mit einem vollen Auftragsbuch komme, wissen meine Mädels, dass ihr Gehalt wieder für ein paar Wochen gesichert ist. Es kommt auch Laufkundschaft, die nicht immer leicht zu bedienen ist. "Die haben sich beim Hofer hier um 15 Euro eine Jeans gekauft und wollen, dass ich sie ändere. Was soll ich verlangen? Selbst wenn ich für eine halbe Stunde Arbeit nur zehn Euro nehme, rümpfen sie die Nase", erzählt der Meister. Dennoch: Bedient wird jeder, auch wenn er sich keine Einzelstücke anmessen lässt.

Meister Bechtold im Finale: Ein "kurzes Grünes" für eine schlanke Dame entsteht.
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Gerade wird Michael wieder mit einer Zeichnung fertig - das ist Kunst. Woll-Gehröcke mit Stickerei und Lederbesatz, fast wie Uniformen. Exklusiv, aber wer trägt so etwas? "Ein Auftrag eines Waldviertler Männerchores. Die brauchen 42 Kostüme für ihre Auftritte. Natürlich aus echter Waldviertler Schurwolle", erklärt der Zeichner.

Während er erzählt, wird ständig an irgendeinem Stück getüftelt, geheftet, geschnitten, genäht, gedampft, gebügelt. Ist ein Arbeitsgang fertig, reicht die Kollegin das Stück weiter an die nächste - zuletzt bekommt es der Chef. "Die Maschine hier zum Beispiel kann nur eines - nämlich Knopflöcher in dicke Westenstoffe schneiden und abnähen, schnell und perfekt. Die Maschine hier daneben macht das Gleiche für Hemden." Selbst entwickelt hat Bechtold ein System, um Flecken aus Stoffen zu zaubern, mit einer Sprühmischung aus Schneiderkreide, die Schmutz oder Öl aufsaugt - und mit einem Druckluft-Gerät, das die vollgesaugte Kreide aus dem Stoff wieder herausbläst. Einfach, aber wirkungsvoll.

Viele der Geräte im Saal wirken antiquarisch. "Das sind exzellente, aber alte Industriemaschinen, die aufgrund der Textilkrise bei uns nicht mehr hergestellt werden. Dabei kann man mit ihnen wunderbar arbeiten und sie halten ewig. Alteingesessene heimische Weltmarken wie Pfaff oder Dürrkopp sind eingegangen, weil wir es zugelassen haben, dass eine ganze Branche mit einem unermesslichen Schatz an Kultur, Technik und Tradition einfach nach Osten ausgelagert worden ist", ärgert sich Bechtold. Nun wartet er schon drei Wochen auf den letzten verfügbaren Fachmechaniker, der diese Geräte noch warten kann.

Besonders stolz ist der Meister auf seine gefragte Hochzeits-Linie. "Wir machen keine weißen Brautkleider. Das machen eh alle anderen. Wir bieten der Braut etwas Außergewöhnliches, das sie auf Wunsch auch nach der Hochzeit in entsprechender Umarbeitung weiter tragen kann - etwa als Sommer- oder Cocktailkleid", erklärt der Meister anhand eines eleganten, bauchfreien Modells, von dem er gerade die cremefarbene Schleppe abnimmt. Und sowieso sollte die Kleidung der ganzen Hochzeitsgesellschaft aufeinander abgestimmt sein. Das kommt gut an. Aber dazu muss man nach Krumbach. Maß nehmen - im Theatersaal. Und auch wegen der Landschaft.

Artikel erschienen am 18. Mai 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 18-23

Atelier
Lothar Daniel Bechtold, A-2851 Krumbach, Bundesstraße 5/3/6, T: 0664/3938 621,