Bisher erst 700 Firmen als Societas Europaea gegründet. | Für kleinere Firmen zu teuer. | Brüssel will 2012 neue Vorschläge präsentieren. | Wien. Ein deutscher Sportartikelriese wird es demnächst tun, Versicherungskonzerne oder Finanzdienstleistungsunternehmen haben es bereits getan: die Umwandlung in eine Europäische Aktiengesellschaft (Mindestkapital: 120.000 Euro). Andere europäische Großunternehmen haben den Schritt in Erwägung gezogen, jedoch die Entscheidung vertagt.
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Seit 2004 gibt es in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) die Möglichkeit zur Gründung einer Societas Europaea (SE). Auf das SE-Statut hat man sich nach mehr als 30 Jahren Tauziehen als Minimalkompromiss und erste echte transnationale Unternehmensform Europas geeinigt.
Die EU ist eine Union - zumindest dem Namen nach. Das Recht ist in der EU noch nicht einheitlich. Das kostet Geld. Unternehmen, die in ganz Europa arbeiten, wissen das. Etwa bei einer Aktiengesellschaft, die in mehreren europäischen Ländern tätig ist, muss sich jede einzelne Tochterfirma nach dem Recht des jeweiligen Landes richten. Die SE soll den bürokratischen Mehraufwand verhindern und die grenzüberschreitenden Tätigkeiten von Unternehmen fördern. Als SE folgt ein Unternehmen mit allen Zweigen und Tochtergesellschaften einer einheitlichen Satzung nach dem übergeordneten europäischen Recht (Verordnung), etwa wenn zwei oder mehrere Unternehmen verschmelzen.
Aber auch der Firmensitz kann so problemlos in ein anderes - zum Beispiel Steuer schonendes - Land verlegt werden. Einen Harmonisierungsschub hat das SE-Statut jedoch nicht ausgelöst, sondern EU-weit eine Vielzahl verschiedener SE-Typen.
Hindernissebei der Gründung
"Die Gründung einer SE wird als sehr aufwendig empfunden", so Anwalt Jörg Zehetner. Zudem bestehe Unsicherheit im Umgang mit der SE: Zwar ist vorrangig die SE-Verordnung anzuwenden. Es wird aber auch auf das jeweils nationale Aktienrecht verwiesen, "da die SE generell nicht schlechter gestellt sein darf als eine nationale Aktiengesellschaft", erläutert Zehetner. Der Wiener Jurist und Partner der Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH hat im Auftrag der EU-Kommission eine Studie zur Lage der SE in Österreich erstellt. Hürden in der Umsetzung bestehen auch, weil das Steuer-, Haftungs- und Insolvenzrecht nicht vereinheitlicht ist.
Ähnliches berichtet Andreas Hable von der Anwaltskanzlei Binder Grösswang. "Die SE hat es immerhin geschafft, ein gutes Image zu erreichen", sagt Hable. Insbesondere große Unternehmen in Deutschland oder in Österreich - wie etwa die Strabag - seien aus Imagegründen in eine SE gegangen. "Die SE ist schon ein wichtiger Schritt gewesen, trotz aller Nachteile. Die Resonanz in der Wirtschaft ist aber bis heute eine bescheidene geblieben. Das Design ist eigentlich für große, aber für Klein- und Mittelbetriebe oder Familienbetriebe zu teuer und kompliziert."
Die stetig steigende Anzahl der SE-Gründungen wird durch die so genannten Vorrats-SEs verzerrt. Dabei handelt es sich um von Anwaltskanzleien auf Vorrat gegründete Gesellschaften, die aber zunächst weder unternehmerisch tätig sind noch Arbeitnehmer beschäftigen und von interessierten Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt gekauft werden können.
Österreich: 15 Betriebe im Neo-Gesellschaftstyp
Im Jänner waren 700 Unternehmen als Societas Europaea in 21 Ländern registriert. Doch der Anstieg entspricht nicht einem Anstieg der tatsächlich operativ tätigen SEs. Insbesondere Tschechien verzeichnet einen hohen Anteil an Vorrats-SEs. So verbirgt sich etwa auch hinter dem Link www.societaseuropaea.eu das Unternehmen "Ready Made Companies" mit Sitz in Prag. Der Boom in Tschechien ist daher ein Sonderfall. Hier hat sich eine "Beraterindustrie" auf die offensichtlich lukrativen Vorrats-SEs spezialisiert.
In Österreich haben sich bis dato 15 Gesellschaften in eine SE umgewandelt. Eine davon hat ihren Sitz nach Zypern verlegt. Neben Tschechien (271) verzeichnet Deutschland (158) die meisten SEs. In Südeuropa, vor allem in Italien, Spanien und Portugal, ist die SE inexistent.
Die meisten europäische Aktiengesellschaften haben sich für das monistische System mit einem einzigen Gremium, dem Verwaltungsrat ("Board"), an der Spitze entschieden. Eine SE kann aber auch einen Vorstand und einen Aufsichtsrat als führende Gremien (dualistisches System) haben. Diese Wahlmöglichkeit dürfte es weiterhin geben, selbst wenn die EU-Kommission 2012 neue Vorschläge präsentiert.
Wirtschaftsnahe Experten meinen, man müsste künftig die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsorgan einschränken. Dies war jahrzehntelang der große Zankapfel und wird wohl von den Gewerkschaften weiter verteidigt werden. Will man die SE am europäischen Markt etablieren, wird noch mehr Harmonisierung im Wirtschaftsrecht notwendig sein. Und das geht schrittweise zu Lasten der nationalen Interessen.