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Gut und böse zugleich

Von Alexandra Grass

Wissen
Der süße Saft schmeckt gut, doch ob er auch gut bekommt, hängt vom Krankheitsbild ab.
© Corbis/Voisin

Ein überbordender Einsatz von Antibiotika kann die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen.


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Wien/New York. Schon Kleinkinder werden häufig mit Antibiotika versorgt. Vor allem sind es fieberhafte Erkrankungen im Hals-Nasen-Ohrenbereich, die Ärzte zu dieser Maßnahme drängen. Warnungen der Experten, dass es durch überbordende Verschreibungen zur Bildung von Resistenzen kommen kann, bleiben im Alltag oft ungehört. Und so werden häufig auch Antibiotika verschrieben, obwohl es sich nicht um einen bakteriellen, sondern einen viralen Infekt handelt.

Doch Penicillin und seine Verwandten können gegen Viren gar nichts ausrichten, sondern nur gegen Bakterien. Die Wirkstoffe würden allerdings, wenn sie im Kindesalter zu oft angewendet werden, die Entwicklung beeinträchtigen, stellen US-Forscher in einer Studie fest, die sie im Fachblatt "Nature Communcations" publiziert haben.

Gewicht und Wachstum

Die Wissenschafter der New York University School of Medicine (NYU) verabreichten Mäusen zwei Wirkstoffe, die oftmals bei Kindern angewendet werden. Dabei handelte es sich um das Breitbandantibiotikum Amoxicillin, wie es etwa in den hierzulande bekannten Präparaten Augmentin oder Clavamox enthalten ist, sowie um den Wirkstoff Tylosin. Letzterer wird zwar ausschließlich in der Tiermedizin angewendet, steht allerdings stellvertretend für die Gruppe der sogenannten Makrolide, wie sie beim Menschen etwa mit dem Wirkstoff Azithromycin (Zithromax) zum Einsatz kommen, erklären die Studienautoren.

Die Versuchstiere entwickelten in Folge mehr Körpergewicht und größere Knochen. Außerdem beeinflussten die Antibiotika jene Billionen an Mikroben, die den Magen-Darm-Trakt besiedeln. Die Forschungsgruppe um Martin Blaser, Direktor des NYU Human Microbiome Program, vermutet, dass ein früher häufiger Kontakt mit den Wirkstoffen - vor allem in den ersten beiden Lebensjahren - die bakterielle Landkarte des Menschen stört und das Risiko, im späteren Alter übergewichtig zu werden, massiv zunimmt.

Vor allem wirke sich eine hohe Dosis von Makroliden auf eine Gewichtszunahme aus, während Amoxicillin den größten Effekt auf das Knochenwachstum zeige, was sich wiederum auf die Körpergröße auswirke.

Beide Mittel "verändern die Ökologie des Mikrobioms in Bezug auf deren Reichhaltigkeit, Diversität und Zusammensetzung", betont Blaser in einem Artikel des Fachblatts. Die Wirkstoffe "verändern nicht nur die bakterielle Spezies an sich, sondern ebenso die relative Anzahl der mikrobiellen Gene, die für spezifische metabolische Funktionen im Körper verantwortlich sind", so der Wissenschafter weiter.

Richtlinien gefordert

Die "ausgesprochen starken Effekte" sehen die Forscher daher als besorgniserregend. Immerhin würden die Makrolide bei Kindern eine populäre Verabreichungsform darstellen. Die Ergebnisse der Studie würden auch mit Beobachtungsstudien bei Kindern übereinstimmen, betonen die Studienautoren.

Die immer deutlicheren Hinweise auf den unerwünschten Einfluss auf die Entwicklung der Kinder würden eine viel größere Aufmerksamkeit bei der Verschreibung von Antibiotika verlangen. Die Forscher sehen es daher als dringend notwendig an, klare Richtlinien für die Dauer und Art der pädiatrischen Verschreibungen aufzusetzen. Außer Frage steht, dass der Einsatz von Antibiotika für die Gesundheit des Menschen förderlich ist - aber nur dann, wenn Achtsamkeit im Vordergrund steht.