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Gute Demokratiechancen in Tunesien

Von H. Wimpissinger (Leserreporter)

Gastkommentare

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Vor einem Jahr im Dezember 2010 hat in Tunesien der Protest gegen Diktatur und Korruption begonnen. Dadurch wurden die in allen arabischen Ländern zumindest in Ansätzen unterschwellig vorhandenen soziologischen Modernisierungstendenzen sichtbar gemacht. In anderen arabischen Staaten waren und sind  allerdings gewaltsame und blutige Revolutionen die Konsequenz.

Wie sich zeigt, erlauben Globalisierung und moderne Kommunikationstechnologien kaum mehr ein  Abschotten  von den weltweiten Entwicklungen.  Das Entwicklungsniveau der tunesischen Gesellschaft war überreif für die Revolution, die auf Grund des dekadenten Regimes weitgehend unblutig erfolgreich war.  Die demokratische Neuorganisation ist im Gange. Jetzt lauern viele machtinteressierte Gruppen auf Einfluß. Die Bevölkerung verfügt über einen guten Mittelstand, einen relativ hohen Bildungsstandard und als Besonderheit für ein arabisches Land,  viele universitär ausgebildete Frauen.  Unter den über 100 politischen Wahlwerbern haben bei den ersten freien Wahlen des Landes am 23. Oktober 2011 nur wenige den Sprung in die verfassungsgebende Versammlung geschafft.

Die drei größten Wahlgewinner haben sich Ende November über die Aufteilung der  wichtigsten Staatsämter geeinigt.  Die mit über 40% der Parlamentssitze stärkste islamistische Partei Ennahda stellt den Regierungschef und präsentiert sich betont gemäßigt. Es  entkommen den Parteiführern jedoch fallweise extremistische Aussagen, wie jene über die Gründung  eines 6. panarabischen Kalifats, sodass dadurch immer wieder Anlass zu Misstrauen über die langfristig wahren Absichten der Partei besteht.

Der  laizistischen und eher linken Kongresspartei - CPR  als zweitstärkste Gruppierung - wurde das Amt des interimistischen Staatspräsidenten zugeteilt. Das in der Wahl am drittstärksten abgeschnittene Demokratieforum für Arbeit und Freiheit - Ettakatol erhält den Schlüsselposten des Präsidenten der verfassungsgebenden Versammlung.  Diese Partei versteht sich ideologisch als sozialistisch. Die eher bürgerlichen Gruppierungen, wie etwa der demokratische Modernistestenpol, sind über ihr Wahlabschneiden enttäuscht und werden sich für die nächste Wahl besser vernetzen müssen.

Die Hauptaufgabe der neu bestellten politischen  Administration ist es,  im Verlaufe eines Jahres eine Verfassung auszuarbeiten, auf deren Basis sodann eine neuerliche freie und demokratische Volkswahl  für ein Parlament stattfinden soll.  Die neuen politischen Persönlichkeiten im demokratisierten Tunesien haben  Leitlinien für die Verfassung  in der öffentlichen Diskussion verlauten lassen.

Zu diesen zählen Respektierung der Menschenrechte und Menschenwürde,  Religionsfreiheit, Pluralismus und die Akzeptanz unterschiedlicher Meinungen, Gleichheit der Menschen vor allem auch von Mann und Frau, Informationsfreiheit, Schutz der sozialen und wirtschaftlichen Rechte, Regionalisierung, internationale Öffnung Tunesiens inklusive Integrationsbestrebungen. Alle diese Vorstellungen entsprechen demnach durchwegs den Prinzipien moderner Demokratien.  Die internationale Hilfsbreitschaft manifestiert sich unter anderem in laufenden Ministerbesuchen befreundeter Staaten, bei welchen vor allem demokratische und wirtschaftliche Entwicklungsprojekte vereinbart werden.  Auch Österreich ist aufgerufen, in dieser jungen Demokratie stärkere Präsenz zu zeigen.

Die Meinungen der "Wiener Zeitung"-Leserreporter geben ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und müssen sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.