Die Europäische Union ist im wesentlichen Sache der Eliten. Der gemeine Bürger hat kaum Gelegenheit zur Mitsprache. Kein Wunder, dass die Zahl der EU-Skeptiker europaweit im Steigen begriffen ist. Die Referenden in einigen Staaten über die Verfassung verfolgen nicht zuletzt das Ziel, die Menschen wieder in das europäische Projekt zu integrieren. Ob und wie das gelingen kann, darüber sprach die "Wiener Zeitung" mit dem Politologen und Meinungsforscher Peter Ulram.
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Ulrams Zustandsdiagnose ist eindeutig: "Studien belegen, dass sich das Image der EU bei den Bürgern - wenngleich aus unterschiedlichen Gründen - verschlechtert hat. Davon sind mittlerweile auch Trägerstaaten der europäischen Idee wie Frankreich, Deutschland oder die Niederlande betroffen." Mitverantwortlich dafür ist nicht zuletzt die Informationspolitik und Selbstdarstellung der EU, die Ulram für "erbärmlich" hält.
Das ändert jedoch nichts an der dringenden Notwendigkeit, die Bürger wieder in das europäische Projekt zu integrieren. Offen ist nur, wie das vor sich gehen soll.
"Sicher nicht durch Referenden über die EU-Verfassung", ist Ulram überzeugt. Sein Argument: Die Verfassung ist in erster Linie ein Vertrag, der Entscheidungsverfahren und -prozesse formal regelt. Dafür lässt sich jedoch kaum das Interesse breiterer Bevölkerungskreise wecken. Dementsprechend drehen sich auch die Debatten in den Ländern, die ein Referendum abhalten, um gänzlich andere Fragen, wie gerade das französische Referendum beispielhaft vorexerziert.
Überhaupt hat Ulram Zweifel, ob sich Volksabstimmungen dazu eignen, dass die Bürger wieder auf den europäischen Integrationszug aufspringen. Und falls doch, dann sicherlich nur in Form EU-weiter Abstimmungen. Zu groß ist einfach die Gefahr nationaler Themaverfehlung.
Grundsätzlich vermisst Ulram eine Diskussion darüber, wie viel Integration die Bürger in welchen Bereichen wollen. Das gilt auch für den Prozess der europäischen Demokratisierung, denn eine Stärkung des EU-Parlaments führt zwangsläufig zu einer Schwächung der nationalen Parlamente. Von der Antwort auf diese Fragen hängt auch ab, ob das EU-Parlament samt seiner Wahlen die Chance hat, zu einem mentalen Integrationsfaktor zu werden.
Ulram vermutet, dass dies aus Furcht vor politisch unbequemen Antworten nicht thematisiert wird, doch ist er überzeugt, dass das "Nicht-Reden noch mehr Unbehagen bei den Bürgern erzeugt".
Noch ist immerhin die Grundstimmung der Bevölkerung positiv gegenüber der EU: Ein Ja zu einem Austritt findet derzeit in keinem Land eine Mehrheit. "Ungeliebt, aber immerhin akzeptiert" bringt Ulram das deutlich abgekühlte Verhältnis der Bürger zu "ihrer" Union auf den Punkt.