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Gute Nachricht nach zwölf Jahren?

Von Alfred Schiemer

Politik

Der bekannte Zeithistoriker Robert Streibel konnte bei seinen Versuchen, Niederösterreich betreffende Akten zu "Arisierungen" aufzuarbeiten, schon im Vorjahr ein negatives Jubiläum feiern: | Zehn Jahre lang wurde ihm damals der Zugang zu dem Material verweigert. Heuer sind es bereits elf. Inzwischen darf der Wissenschafter hoffen, demnächst endlich forschen zu dürfen. In anderen Archiven | ist das bereits möglich. Die "Wiener Zeitung" fragte stichprobenartig bei einigen Stellen nach.


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Das niederösterreichische Landesarchiv trifft keine Schuld an der Verschleppung der entsprechenden Nachforschungen. Die dort tätigen Beamten sind freundlich und wirken kompetent, auch loben

Heimatforscher wie Historiker die Arbeit der Archivare.

Die Crux liegt · um es auf österreichisch-prägnante Weise auszudrücken · "höheren Orts". Das Landesarchiv durfte nämlich bisher gar nicht über die laut Archivchef Anton Eggendorfer in 200 bis 250

Kartons verstauten rund 60 Laufmeter Akten verfügen.

NÖ: Zwischen alten und

neuen Katastrophen

Das Aktenmaterial galt bisher als "aktuell" und war damit für Rechercheure nicht einsehbar.

Robert Streibel, der als einer der Experten für die Durchleuchtung der Nazizeit in NÖ gilt (er arbeitete u.a. die Geschichte von Widerstand und Verfolgung in Krems wissenschaftlich auf), ließ nicht

locker und wandte sich vor einigen Jahren in dieser Frage sogar an Spitzenpolitiker. Ein einziger antwortete und sagte Bemühungen zu: Erhard Busek.

Die umfangreichen Aufzeichnungen blieben jener Landesstelle zugewiesen, die sinnigerweise für Hochwasser und andere Unglücksfälle großen Ausmaßes zuständig ist. Streibel sarkastisch: "Und da es immer

wieder aktuelle Katastrophen gibt, kann die Katastrophe 1938ff. nicht bearbeitet werden."

Wie Ernst Bezemek vom NÖ-Landesarchiv bestätigt, befindet sich das Material jetzt noch in der Zentralregistratur des Amts der NÖ Landesregierung. Bezemeks Chef Anton Eggendorfer ergänzt: Bis Mitte

1999 kommen die Akten zur sogenannten Arisierung in das Landesarchiv.

Eggendorfer: "Der Erhaltungszustand ist gut", freilich gebe es Verluste von fünf bis zehn Prozent. Man denkt auch daran, die Aufarbeitung auf Werkvertragsbasis zu bewerkstelligen · das sei jedoch

eine Kostenfrage.

So oder so: Streibel wird voraussichtlich ab 1999 die niederösterreichischen Rückstellungsunterlagen sichten können. Die gute Nachricht für den Zeithistoriker wird es allerdings mit zwölf Jahren

Verspätung geben.

Im Burgenland werden

noch Forscher gesucht

Andere (Bundes-)Länder, andere Sitten.

Roland Widder vom burgenländischen Landesarchiv verwaltet 83 Kartons mit zwölf bis 14 Laufmetern Akten, auf denen Enteignungen durch die Nazis dokumentiert sind.

Vor allem der Wissenschafter Jonny Moser hat in den Papieren zu vielen Punkten akribisch geforscht. Derzeit wird das Material, in dem es großteils um das Nord- und Mittelburgenland geht, für die

Gedenkstätte Jad Waschem in Israel mikroverfilmt; das wird noch einige Zeit beanspruchen.

Archivar Widder läßt auch anklingen, daß sich in der letzten Zeit kaum ein Forscher mit dem Thema befaßt hat und daß die Arbeit durchaus vielversprechend wäre.

Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" verweist Roland Widder außerdem auf eine besondere Ironie der Geschichte im Burgenland: Der für seinem Haß auf Juden sowie Roma und Sinti berüchtigte

Gauleiter des (von den Nazis im übrigen bald auf "Niederdonau" und die Steiermark aufgeteilten) Burgenlandes, Tobias Portschy, hatte es sich zum Ziel gesetzt, seinen "Gau" als ersten der "Ostmark"

völlig "judenfrei" zu machen. Daher mußten bereits in den ersten Monaten nach der Auslöschung Österreichs am 13. März 1938 zahllose burgenländische Juden unter den schlimmsten Umständen emigrieren ·

aber sie überlebten im Gegensatz zu Millionen Leidensgenossen, denen das barbarische NS-Regime später die Auswanderung untersagte und die in die Vernichtungsmaschinerie Hitlers getrieben wurden.

Es dürfte daher im östlichsten Bundesland Österreichs relativ gesehen wesentlich mehr Rückstellungen enteigneten Guts gegeben haben als etwa in Wien.

Wien: So mancher Akt

verschwand in Berlin

In der Bundeshauptstadt bestehen bei der weiteren Aufarbeitung der "Arisierung" Probleme, die nicht zuletzt mit dem Status der Stadt unter dem Naziregime zusammenhängen: Wien war jede

Selbständigkeit genommen worden, viele Papiere · z. B. in die Zuständigkeit der Finanz fallende Sparbücher · wanderten daher seinerzeit direkt in die "großdeutsche" Reichshauptstadt Berlin und fielen

oft der Vernichtung im Zweiten Weltkrieg zum Opfer oder verschwanden.

Peter Csendes vom Wiener Stadt- und Landesarchiv schätzt, daß heute insgesamt etwa 80 Prozent des Aktenmaterials in Archiven in der Bundeshauptstadt lagern. Wobei dem Stadt- und Landesarchiv aufgrund

des Verwaltungsaufbaus zwischen 1938 und 1945 eine eher untergeordnete Aufgabe zukommt: Die meisten Bestände in Sachen "Arisierung" weist das Österreichische Staatsarchiv (Archiv der Republik) auf.

Im Stadt- und Landesarchiv gibt es eine Reihe von Unterlagen aus der Zeit nach 1945.

Unterlagen historisch

sehr gut aufgearbeitet

Peter Csendes hebt hervor, daß die "Arisierung" für den Bereich Wien von Gerhard Botz historisch sehr gut aufgearbeitet wurde.

Ebenso ist das vorhandene Material in der Bundeshauptstadt · genauso wie in Niederösterreich oder im Burgenland · für konkrete Nachforschungen über Enteignungsopfer prädestiniert. Es müßten nur

endlich intensive Recherchen initiiert werden.

Oder werden bis dahin noch einmal zwölf Jahre vergehen · bis das letzte "Arisierungs"-Opfer mit Sicherheit gestorben ist?

Eine Recherche der "Wiener Zeitung", in der anhand von Beispielen aus Grundbüchern in der Bundeshauptstadt der "Arisierung" bei Immobilien nachgegangen wurde, erschien bereits in der

Ausgabe vom 12. September.