Ernst Strasser hat das Zeug zum neuen politischen Archetyp. Von der dunklen Seite der Macht lassen sich die besseren Geschichten erzählen.
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Nur um keiner falschen Mythenbildung Vorschub zu leisten: Es spricht erheblich mehr für als gegen die Vermutung, dass der Anteil korrupter Charaktere in der Politik denjenigen in der Gesamtbevölkerung nicht wesentlich überschreitet. Es ist wohl eher die Gelegenheit, die aus dem ethischen Mängelwesen Mensch Diebe macht; wo nichts so nebenbei zu holen ist, erübrigt sich der Charaktertest mangels Angebots und Nachfrage.
Ernst Strasser hat in diesem Zusammenhang das Zeug zu einem neuen Archetypen für das ansonsten in dieser Hinsicht doch eher kleinkarierte Österreich. Sicher, wir hatten mit Kreisky einen republikanischen Sonnenkönig sowie mit Figl und Raab zwei legendäre Gründungsfiguren, der Rest des politischen Personals der Zweiten Republik taugt jedoch kaum zur Stilisierung, sei es als Held oder als Bösewicht.
Karl-Heinz Grasser, über den die Justiz demnächst zu Gericht sitzen könnte, fehlt das diabolische Element, das sich im Machtmenschen Strasser mit ein bisschen böser Absicht so wunderbar hineininterpretieren lässt. Der ehemalige Finanzminister zehrt dagegen noch immer von seinem Image als fleischgewordener Schwarm aller Schwiegermütter (es sei denn, er hat deren Geld persönlich veranlagt). Von Ernst Strasser, dieser Inkarnation der dunklen Seite der Macht, würde dagegen niemand auf die Idee kommen, ihm Charme zu unterstellen. Wahrscheinlich hätte dies der Ex-Innenminister bis vor kurzem womöglich selbst als rufschädigend empfunden.
Tatsächlich benötigen auch angeblich aufgeklärte politische Systeme die großen Erzählungen von den Guten und den Bösen. Wahrscheinlich die Schurken sogar mehr als die Strahlemänner, ganz einfach weil sie für angehende Nachwuchskräfte pädagogisch wertvoller sind. "Dass du mir ja nicht zum Strasser wirst", könnte dereinst zur geflügelten Mahnung aller Mütter von Politikern werden. So gesehen könnte der ehemalige ÖVP-Politiker doch noch in die Geschichte der Republik eingehen - allerdings wohl nicht ganz in der Art, wie er sich selbst das vorgestellt haben mag.
Aber ist die mythische Überhöhung der Bösewichte nicht ziemlich ungerecht, schließlich liegt der Schurke wohl jedem von uns im Blute? Schon, nur ist - um ein bekanntes Diktum abzuwandeln - Gerechtigkeit in diesem Fall keine politische Kategorie; man denke hier nur an Kaiser Nero oder König Herodes, die zweifellos auf jeder Liste der bad guys in Regierungsämtern ganz vorne mit vertreten sind. Ob sie allerdings tatsächlich die Ungeheuer waren, als die sie zweitausend Jahre gegolten haben, bezweifeln die meisten Historiker mittlerweile allerdings. Die Mühlen der Geisteswissenschaften mahlen eben langsam. Und Strasser dürfte die Aussicht auf eine mögliche späte Rehabilitierung auch kein wirklicher Trost sein.
Jetzt kann eigentlich nur noch der Instanzenweg dem möglichen Einzug Strassers in die Geschichte der Republik einen Strich durch die Rechnung machen. Für diesen Fall müsste dann doch noch KHG in die Bresche springen. Denn einen guten Schurken braucht jedes Land.