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"Gute Stimmung ist Ziel in Berlin"

Von Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Kurpas im "WZ"-Interview: Gemeinsamer Erfolg notwendig. | "Verschiedene Geschwindigkeiten existieren bereits." | "Wiener Zeitung":Beim EU-Gipfel vor zwei Wochen haben sich die Staats- und Regierungschefs auf verbindliche Klimaschutzziele geeinigt. Wird dieser Schwung für Fortschritte bei der EU-Verfassung ausreichen?


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Sebastian Kurpas: Das lässt sich schwer sagen. Es war wichtig, dass der Gipfel einen Erfolg vorweisen konnte - auch wenn einiges noch im Argen ist: So ist noch nicht klar, wie viel jedes Land zum Erreichen der Klimaziele beitragen muss und ob die Atomkraft einbezogen wird. Der Berliner Gipfel wird eine ähnliche Funktion wahrnehmen. Es gilt, einerseits positive Bilder und Stimmung zu verbreiten, andererseits intern eine konstruktive Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Es sollen nicht tiefere Gräben geschaffen, sondern gemeinsame Interessen betont werden.

Wird die Berliner Erklärung Konkretes zur Zukunft der EU beinhalten?

Das würde mich positiv überraschen. Deutschland hat die zum Teil berechtigte Kritik in Kauf genommen, die Erklärung hinter den Kulissen auszuarbeiten. Die öffentliche Diskussion hätte aber eher geschadet. Das ist an jenen Punkten zu sehen, die bekannt geworden sind, etwa beim anfänglichen Widerstand Großbritanniens gegen die Erwähnung des Euro.

Wird die EU künftig verstärkt auf solche Projekte nur eines Teils der Mitglieder setzen, um vorwärts zu kommen?

Grundsätzlich ist es natürlich schwieriger, Entscheidungen mit 27 Ländern zu treffen. Und das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten gibt es bereits. Etwa der Prümer Vertrag (zum Austausch von DNA- und Kraftfahrzeugdaten) oder das Schengener Abkommen wurden außerhalb der EU geschaffen. Auch beim Euro sind einige von Anfang an nicht dabei. Von den integrationswilligeren Mitgliedstaaten wurde das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten immer wieder als Drohszenario benutzt. Nach dem Motto: Wenn ihr nicht wollt, dann machen wir es eben ohne euch. Das hatte zur Folge, dass das Konzept vor allem in den neuen Mitgliedsstaaten diskreditiert ist. Zu Unrecht, denn dieses Vorgehen hat Zukunft als konstruktives Mittel.

Muss die Tür dennoch für alle offen bleiben?

Auf jeden Fall. Gerade bei Schengen haben sich ja einige erst später dafür entschieden mitzumachen. Irgendwann lohnt es sich auch, solche Projekte in die EU-Verträge zu integrieren und EU-Institutionen zu nutzen, um doppelte Kosten und bürokratischen Aufwand zu vermeiden. Laut Verfassungsvertrag wird die verstärkte Zusammenarbeit eines Teils der Mitglieder innerhalb des EU-Rechts attraktiver - im Verteidigungsbereich etwa wird sie erst ermöglicht.

Was passiert, wenn die Verfassung bis 2009 scheitert?

Hier ist zu unterscheiden. In ihrer täglichen Funktionsweise funktioniert die EU auch mit 27 Mitgliedern relativ gut. Es gab zumindest keinen Zusammenbruch. Das Krisengefühl würde sich jedoch sicher verschärfen. Und auch die verstärkte Kooperation einiger Länder außerhalb der EU könnte zunehmen. Ich glaube aber, dass es eine Lösung geben wird. Es wird nicht der vorliegende Vertrag sein und er wird wohl auch nicht mehr Verfassung heißen, aber er wird große Teile daraus enthalten. Kernbereiche wie die institutionelle Reform können nicht einfach wieder aufgemacht werden, weil dann der ganze Kompromiss auseinanderfällt.

Sebastian Kurpas ist Verfassungsexperte beim Brüsseler Think Tank "Center of European Policy Studies".