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Gute Ziele - mangelhafte Umsetzung

Von Adrian Eugen Hollaender

Wie lässt sich der Menschenrechtsschutz in der Praxis verbessern?


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Der Gastkommentar von Peter Hilpold in der Wiener Zeitung vom 21. August 2020 zum Jubiläum der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) brachte das Gute ebenso treffend wie das Schlechte auf den Punkt. Alles entspricht vollinhaltlich (zum Teil muss man sagen: leider) der Realität. Daher stellt sich, um konstruktiv zu bleiben, die zentrale Frage: Wie lässt sich der Menschenrechtsschutz in der Praxis verbessern?

Die Zielsetzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention sind hervorragend.

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es jedoch nicht.

Von den österreichischen Beschwerden wird nur ein kleiner Prozentsatz überhaupt angenommen. Die meisten werden a limine, das heißt von der Schwelle weg und ohne inhaltliche Begründung, zurückgewiesen. Darin erblicken viele Beschwerdeführer eine rechtsstaatlich bedenkliche Rechtsverweigerung. Denn während selbstverständlich die inhaltliche Beurteilung einer Rechtssache einem Gericht obliegt und niemand erwarten kann, dass dieses jeder Beschwerde stattgeben müsse, so hat doch jeder ein Recht darauf, dass das Gericht die Rechtssache inhaltlich prüft, bevor es eine Entscheidung trifft. Wenn das Gericht aber eine Beschwerde a limine zurückweist, ist für den Beschwerdeführer keine inhaltliche Prüfung nachvollziehbar.

Der weise Verfassungsjurist Christian Brünner meinte einst in einem Gespräch pointiert, Recht unterscheide sich von Willkür letztlich nur (zumindest) durch eine Begründungspflicht. Eine solche ist in der Tat rechtsstaatlich das unabdingliche Minimalerfordernis. Wenn ein Gericht einen Rechtsschutzanspruch verneint, muss es das in einer nachvollziehbaren Weise begründen. Die Zurückweisungsentscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) werden dem nicht gerecht.

Gerichtsbarkeit praktischnur noch auf dem Papier

Wären Rechtsakte des EGMR nach der Europäischen Menschenrechtskonvention anfechtbar, wäre eine (theoretische) Beschwerde gegen die A-limine-Zurückweisungspraxis des EGMR wegen Verletzung von Artikel 13 EMRK (in Verbindung mit dem jeweils geltend gemachten materiellen EMRK-Grundrecht) mehr als berechtigt. Denn wie der EGMR im Bereich dieser A-limine-Zurückweisungen verfährt, übertrifft mittlerweile alle innerstaatlichen Rechtsmittel-Zulässigkeitshürden bei weitem. Insofern ist die von einer wachsenden Anzahl von Experten geäußerte Befürchtung, dass die Gerichtsbarkeit des EGMR mittlerweile praktisch nur noch auf dem Papier stehe und nicht mehr wirklich operativ sei, sondern vielmehr ein "denial of justice", wie Hilpold es in seinem Gastkommentar vom 21. August 2020 formuliert hat, leider nicht von der Hand zu weisen.

Hinzu kommt aber noch etwas: Der EGMR scheint mit zweierlei Maß zu messen. Parallel zu der erwähnten A-limine-Zurückweisungspraxis hört man von angeblich formell eindeutig unzureichenden Beschwerden, die aber vom EGMR nicht zurückgewiesen, sondern vielmehr auch mit inhaltlichem Erfolg behandelt werden. Und das bezeichnenderweise meist in einem bestimmten inhaltlichen Bereich. Kann das ein Zufall sein?

Eine grundlegende Reform der Gerichtsbarkeit im Bereich der Menschenrechte ist daher geboten. Wahrscheinlich denkt der Großteil der Rechtsanwälte, die vor dem EGMR tätig sind, ähnlich, nur kämpft jeder für sich, und es hat bisher noch keine Vernetzung stattgefunden. Nun wäre der Moment gekommen, eine solche herbeizuführen und eine Petition an das Ministerratskomitee des Europarats (als Trägerorganisation des EGMR) auszuarbeiten.

Mechanismus zur Qualitätssicherung

Insbesondere müsste man die Einrichtung eines Qualitätssicherungsmechanismus verlangen. Die Abweisungen müssten nachvollziehbar begründet sein. Und bei manifesten Fehlern durch die Einzelrichter müsste das auch intern Konsequenzen haben. Zudem sollte auf nationaler Ebene ein Kontrollmechanismus - bestehend aus drei oder fünf Experten - eingerichtet werden, der die Rechtsprechung des EGMR verfolgt und an den sich Beschwerdeführer, deren Beschwerden in nicht nachvollziehbarer oder gar manifest rechtswidriger Weise abgelehnt worden sind, wenden können. Dieses Gremium sollte dann dem Ministerkomitee Bericht erstatten.

Auch das Verlangen nach einer "Grundrechtsbeschwerde" in Österreich ist zu erwägen. Ob eine solche an den Verfassungsgerichtshof oder an ein anderes Höchstgericht, etwa den Obersten Gerichtshof, zu richten wäre, ist eine rechtstechnische Frage. Schon jetzt hat Letzterer auf interpretative Weise begonnen, den Grundrechtsschutz zu erweitern. Dies könnte man gesetzlich verankern. Dadurch könnten grundlegende Verbesserungen erzielt und, da in Österreich die EMRK im Verfassungsrang steht, umfangreicher Menschenrechtsschutz bereits innerstaatlich gewährleistet werden.

Aber ungeachtet dessen müssten die aufgezeigten Missstände beim EGMR selbst grundlegend im dargestellten Sinne aufgearbeitet und korrigiert werden. Denn wenngleich dieser keine "vierte Instanz" ist, kommt ihm doch als supranationalem Spruchkörper eine wichtige Leitfunktion zu.

Unterstützung aller Parteien wäre wünschenswert

Es wäre wünschenswert, parteiunabhängig - im Sinne des (hoffentlich) alle Parteien verbindenden und einenden Rechtsstaatlichkeitsprinzips - die Unterstützung aller im österreichischen Parlament und im Europarat vertretenen politischen Parteien für dieses Vorhaben zu gewinnen. Dann könnten diese dringlich gebotenen Reformen im Interesse der Menschenrechte umgesetzt werden - statt Lippenbekenntnisse zu den Menschenrechten abzugeben oder gar, diese zur Rechtfertigung von Partikularinteressen heranzuziehen, was nicht selten beobachtbar ist. Und zwar zu Partikularinteressen, die mit wohlverstandenem Menschenrechtsschutz nicht nur nichts zu tun haben, sondern diesem mitunter sogar zuwiderlaufen.

So könnte man der Europäischen Menschenrechtskonvention zu ihrem Jubiläum das größte Geburtstagsgeschenk machen: die Wiederherstellung eines in der Praxis funktionierenden Menschenrechtsschutzes.

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