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Guten Morgen, Europa!

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Donald Trumps jüngstes Interview ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Und das, obwohl für die Londoner "Times" der Brexit-Aktivist Michael Gove (Ex-Justizminister unter Premier David Cameron) und für die "Bild"-Zeitung der scheidende Chefredakteur Kai Diekmann harmlose Fragen stellten. Aber was der künftige US-Präsident zum Besten gab, machte eines klar: Das transatlantische Bündnis, ein geopolitischer Anker seit 1949, ist bald Geschichte. Das können sich viele noch nicht vorstellen, so fest ist es in unseren Hirnen über Generationen eingebrannt.

Von der Europäischen Union hält Trump gar nichts. Und das ist - mit Verlaub gesagt - eine Frechheit. Was bildet sich dieser Mensch ein? Dass die europäische Diplomatie auf Trumps Äußerungen zurückhaltend reagiert, ist schon falsch. Die Trump-Administration wird Europa als großen kaufkräftigen Markt begreifen, den sie sich mit Russland teilt.

Auf einen groben Klotz gehört daher ein grober Keil. Da Trump den Brexit als großartige Sache beschreibt (genau wie Wladimir Putin), bleibt Europa die Besinnung auf die eigene Stärke. Und die Suche nach neuen Verbündeten. Was noch vor ein paar Monaten undenkbar schien, wäre etwa eine neue Partnerschaft mit China.

Trump wird die USA mit seiner wirtschaftspolitischen Isolation zu einem kurzfristigen Aufschwung führen, davon sollte niemand beeindruckt sein. Denn Europa ist stärker, und zwar in allen Belangen. Davon ist nichts zu bemerken, weil die 28 (nach dem Brexit 27) Nationalstaaten zu dominant sind. Und weil Europa eine ungeheure Geschichte mit sich herumschleppt, dauern Gemeinsamkeiten länger.

Doch genau das wäre nun Aufgabe von Europas Politik. Es geht um die Erzählung des europäischen Fortschritts, der "neuen" Gemeinsamkeiten, schwer erkämpft seit 1914. Keine andere Weltregion hat aus den Zusammenbrüchen des 20. Jahrhunderts mehr gelernt als Europa.

Trump wischt das alles beiseite, weil er über den Tellerrand nicht hinausdenkt. Putin wischt dies auch alles beiseite, aber er will ein Imperium rekonstruieren. Europa ist von beiden als Opfer beziehungsweise Siegestrophäe auserkoren. Das kann in Europa niemandem wirklich schmecken. Es liegt nun an der Politik, nationale Scheuklappen zu beseitigen und Europa in jene Rolle zu hieven, die der Kraft des Kontinents entspricht.